„Es war ganz klar Mord“

Washington · Wieder erschüttert das brutale Vorgehen von Polizisten die USA. Mehrere Beamte erschießen eine junge Frau auf einer Polizeiwache. Waren sie falsch ausgebildet, konnten sie die 17-Jährige nicht anders überwältigen?

23 Minuten und 44 Sekunden lang ist das Überwachungsvideo, das den Vorraum der Polizeistation von Longview (Texas) zeigt - und das Sterben der 17-jährigen Kristiana Coignard, die Hilfe suchend das Gebäude betreten hatte. Es sind Aufnahmen, die mittlerweile über die USA hinaus für Empörung sorgen - und nach den Polizei-Skandalen von Ferguson (Missouri) und New York neue Debatten um unnötige Gewaltanwendung durch schießwütige Cops ausgelöst haben. Staatsanwälte und andere Polizei-Behörden wie die "Texas Rangers " untersuchen derzeit den Vorgang, der sich am Donnerstagabend vergangener Woche abgespielt hatte - und der damit endete, dass das Mädchen mit fünf Schüssen von insgesamt drei Beamten niedergestreckt und dann auch noch minutenlang ohne jede Hilfeleistung am Boden liegen gelassen wurde. Rassismus scheint in diesem Fall keine Rolle zu spielen. Das Opfer ist weiß.

Die Polizeidirektion wird seitdem mit Facebook- und Twitter-Kritik überschüttet - und die dabei gestellten Fragen sind fast immer die gleichen: Warum konnten drei erwachsene Polizisten ein 17-jähriges schmächtiges Mädchen mit Rucksack nicht ohne tödliche Gewalt überwältigen? Warum wurde, als dann geschossen wurde, nicht auf die Beine gezielt, sondern das Herz? Die Beamten hätten sich gefürchtet, hieß es in ersten Stellungnahmen der Cops, da Kristina Coignard ein Messer mit sich geführt habe. Es soll angeblich später im Rucksack gefunden worden sein. Auf den Videoaufnahmen ist eine Stichwaffe jedenfalls nicht zu erkennen. Die Bilder zeigen vielmehr ein völlig ruhiges Mädchen , das zunächst ein Telefon in der nicht besetzten Station benutzt, um über den 911-Notruf Hilfe anzufordern. Der erste eintreffende Beamte - ein stämmiger, ihr körperlich weit überlegener Mann - führt sie dann zu einer Sitzbank, nur um sich wenig später auf sie zu werfen. Das Mädchen , das Berichten zufolgen unter psychischen Störungen litt und zwei Selbstmord-Versuche hinter sich hatte, beginnt sich dann dagegen zu wehren. Nach einer Weile lässt der Polizist von ihr ab. Handschellen angelegt hat er ihr nicht.

Dann betreten zwei weitere Cops - ein Mann und eine Frau - das Gebäude. Alle richten aus kurzer Distanz ihre Waffen auf die 17-Jährige. Als sich das Mädchen dann auf einen Beamten zubewegt, fallen fünf Schüsse . Vier treffen sie in den Oberkörper. Die Cops haben, wie es in den USA üblich ist, auf die Brust gezielt. "Die Bedrohung eliminieren", also töten und nicht nur überwältigen, lautet die offizielle Dienstvorschrift für die Anwendung von Schusswaffen. Einmal mehr werden die Beamten hier zum Richter und Henker in einer Person. "Es war ganz klar Mord ", kommentiert beispielsweise Christy Byrd auf der Facebook-Seite der Polizeistation Longview, "die Familie des Mädchens trauert, und diese Beamten haben bezahlten Urlaub bekommen." Andere stellen die Ausbildung und Qualifikation der Cops in Frage. "Sie sind offenbar so schlecht trainiert, dass sie unfähig sind, ein kleines Mädchen , das sie als Angreiferin empfinden, zu überwältigen", schreibt Marc Reed.

Es gibt aber auch Stimmen, die die Cops loben - vermutlich handelt es sich um andere Beamte und deren Angehörige, die hier Partei ergreifen. "Ich sende meine Gebete zu den Beamten", formuliert Robin Emmel. Beten für Kristiana Coignard - das tun allerdings nur die wenigsten der Polizei-Unterstützer im Internet.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort