Es war einmal ein Klima-Musterschüler . . .

Berlin · Die Klimadiplomatie ist eine mühsame Sache. Das gilt für die Weltgemeinschaft ebenso wie für die deutsche Bundesregierung. Kurz vor der UN-Klimakonferenz schaltet die Umweltministerin auf Angriff.

Lange ist es nicht her, dass Angela Merkel sich als Klimakanzlerin feiern ließ. Das Ziel, aus Kohle, Öl und Gas auszusteigen, hat sie erst vergangenes Jahr auf dem G7-Gipfel in Elmau durchgesetzt. Das Klimaabkommen von Paris, gefeiert als historischer Durchbruch, hat Deutschland mitgestaltet. Es herrschte Aufbruchstimmung. Und jetzt? Kurz vor der nächsten UN-Klimakonferenz , die kommende Woche in Marokko beginnt, hakt es beim deutschen Klimaschutz . Der Musterschüler wankt - und zwar gewaltig.

Erst treten die einstigen Verweigerer China und USA der Pariser Vereinbarung schneller bei als die Deutschen. Hektisch ziehen Bundestag und Bundesrat nach. Dann kommt die Bundesregierung beim Klimaschutzplan 2050 nicht zu Potte, der seit Monaten hätte stehen sollen. Und dann droht auch noch das Scheitern beim Klimaschutzziel 2020, dem seit Jahren vorgetragenen Versprechen, in vier Jahren 40 Prozent weniger Treibhausgase in die Atmosphäre zu blasen als 1990.

Umweltorganisationen wie Nabu, WWF und BUND nennen das eine Blamage für das Land, das sich gern als Klimaschutz-Vorreiter sehe. Aber wer ist Schuld an dem Schlamassel? Umweltministerin Barbara Hendricks , eine Sozialdemokratin, sagt: Die Union. Die Verkehrs- und der Landwirtschaftsminister, beide CSU , die mit Zugeständnissen geizten. Aber auch die Unionsleute im Bundestag und den Bundesländern, die auf einem Niveau polterten, das "dem Thema wirklich nicht angemessen" sei. Und dann sei da noch die CDU-Chefin und Kanzlerin, die ihr Lager nicht zur Ordnung rufe.

Eigentlich ist es nicht die Art der Umweltministerin, ihre Kollegen so scharf anzugreifen. Den schwarzen Peter in Sachen Klimaschutz will sie sich aber nicht zuschieben lassen. "Wortklauberei" betreibe man beim Koalitionspartner, wenn man statt von "Dekarbonisierung" von "Treibhausgasneutralität" sprechen wolle. Ihre Kritiker verfügten in Sachen Klimaschutz über ein "gesundes Halbwissen". Die Fraktion von CDU und CSU im Bundestag kontert: Hendricks wolle mit ihrem "rhetorischen Rundumschlag" davon ablenken, dass sie sich mit dem Klimaschutzplan "verhoben" habe.

Praktisch: Gegen ihren eigenen Parteichef, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel , muss die Umweltministerin gar nicht wettern. Der durfte schon vor der Ressortabstimmung alles aus dem Plan streichen, was ihm etwa zum Thema Kohleausstieg nicht passte. Warum ist der Widerstand überhaupt so enorm gegen einen Klimaschutzplan, der keinerlei Sanktionen vorsieht?

Da gebe es eine große "Angst vor Überforderung", sagt Hendricks. Natürlich bedeutet Agrarwende eine Umstellung etwa für Fleischproduzenten, natürlich müssen Autobauer eine Menge Geld investieren, um weg von Diesel und Benzin kommen. Auch das Gefeilsche um Details der Energiewende zeigt, welche enormen wirtschaftlichen Interessen mit dem Klimaschutz verbunden sind. Wirtschafts-, Agrar- und Verkehrsminister haben diese Interessen zu berücksichtigen.

Auf dem internationalen Parkett geht es ja auch nicht schneller, das konnte man im Jubel über Paris leicht vergessen. Die Klimakonferenzen gibt es seit 1995 (Umweltministerin Merkel leitete die erste in Berlin ), über 21 Jahre gab es winzige Fort- und viele Rückschritte. Und viel Wortklauberei: Dass in Paris ein "Abkommen" geschlossen wurde und kein "Vertrag", auch wenn es in der Sache das selbe ist, hat zum Beispiel diplomatische Gründe. Auch hier: Wortklauberei.

Um überhaupt etwas zu erreichen, setzt die Umweltministerin auf einen möglichst breiten Konsens. Stichwort Kohleausstieg: Um das Thema soll sich eine Kommission kümmern, ähnlich wie bei der Endlagersuche, möglichst schon ab Anfang 2017. Das Gremium heißt allerdings nicht Kohlekommission, das wäre für die Klimadiplomatie wohl zu direkt. Stattdessen bekommt Deutschland eine "Kommission Klimaschutz , Wachstum, Strukturwandel und Vollendung der Energiewende".

Meinung:

Die weiße Flagge gehisst

Von SZ-Korrespondent Hagen Strauß

Umweltministerin Barbara Hendricks hat sich bemüht. Doch in Sachen Klimaschutzplan muss die SPD-Politikerin vorerst die weiße Flagge hissen. Hendricks hat zu viel auf einmal gewollt. Mehr noch: Ihr Entwurf hat sich für Wirtschaft und Verbraucher zum Teil wie ein detailversessener Horrorkatalog gelesen. Genannt seien nur das Verbot von Torf für Hobbygärtner oder die Halbierung des Fleischkonsums bis 2050. Alles begründbar, aber alles auch schwer vermittelbar.

E in konsequenter Klimaschutz lässt sich eben nur auf dem Papier so leicht verordnen, in der praktischen Umsetzung ist er dann ein extrem schwieriger Prozess. Denn in diesem Bereich sind die Interessenlagen so unterschiedlich wie kaum sonstwo. Deswegen wurde schon vor Hendricks Entscheidung, den Klimaschutzplan von der Tagesordnung zu nehmen, kräftig in dem Werk gestrichen. Tot ist der Plan freilich nicht. Die Regierung steht beim Klimaschutz seit dem Pariser Abkommen im Wort. Sie muss nun aber mehr das Machbare als das Wün schenswerte ins Visier nehmen.

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 Mittendrin – und doch nur dabei: Umweltministerin Hendricks wird beim Klimaschutz von der Koalition meist ausgebremst. Foto: dpa

Mittendrin – und doch nur dabei: Umweltministerin Hendricks wird beim Klimaschutz von der Koalition meist ausgebremst. Foto: dpa

Foto: dpa

Hintergrund Das Abkommen von Paris tritt am Freitag in Kraft. Es ist der erste weltweit gültige Klimavertrag zum Kampf gegen den Treibhauseffekt. Die 55 Staaten, die das Abkommen inwzischen ratifiziert haben, wollen die klimaschädlichen Emissionen reduzieren - und so die bis 2100 befürchtete Erderwärmung von zwei Grad verhindern. Verbindliche Reduktionszahlen gibt es aber nicht. Der Klimaschutzplan 2050 soll aufzeigen, welchen Beitrag Deutschland zum internationalen Klimaziel leisten will, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen. Einen ersten Entwurf hatte Hendricks bereits im April vorgelegt. Seitdem hat sie viele konkrete Ziele und Maßnahmen schon gestrichen, vor allem auf Wunsch des Wirtschaftsministeriums und des Kanzleramts. dpa/afp

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