„Es stinkt alles zum Himmel“

Berlin · Das Vorgehen der Verantwortlichen wirkt unerklärlich. Nach dem Suizid von Dschaber al-Bakr geraten die sächsischen Justizbehörden massiv unter Druck. Innenminister de Maizière fordert eine schnelle Aufklärung der Vorgänge.

Die Empörung im politischen Berlin war gestern riesig. Ein "unglaublicher Vorgang", ein "totaler Kontrollverlust", ein "wahrer Albtraum" - so lauteten einige der Einschätzungen nach dem Suizid des Terrorverdächtigen Dschaber al-Bakr. Dahinter verbarg sich doppelter Ärger: einerseits über Sachsen und die dortigen Behörden, andererseits darüber, dass man nun auf wichtige Erkenntnisse im Anti-Terrorkampf verzichten muss.

Eines ist klar: Der östliche Freistaat ist aus Sicht der Berliner Politik erheblich in Verruf geraten. Die vielen rechten Übergriffe von Heidenau bis Bautzen, die üblen Pöbeleien bei der Einheitsfeier in Dresden, dann die Pannen bei der Festnahme des Terrorverdächtigen al-Bakr in Chemnitz - und nun sein Freitod. "Das institutionelle Versagen in Sachsen hat einen traurigen Höhepunkt erreicht", kritisierte Grünen-Chefin Simone Peter via Twitter . Harsch ging auch SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann mit den dortigen Behörden ins Gericht: "Ich bin fassungslos über die fortgesetzten Pannen in Sachsen. Das ist eine beispiellose Aneinanderreihung von Polizei- und Justizversagen." Es fehle im Freistaat "offensichtlich jede Voraussetzung für eine professionelle Terrorbekämpfung", so Oppermann. Linken-Fraktionsvize Sevim Dagdalen twitterte: "Es stinkt alles zum Himmel."

Auch Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz sprach von einem "Fiasko für die sächsische Justiz". Vor allem, weil es sich bei dem 22-jährigen Syrer um eine "wichtige Informationsquelle" gehandelt habe. Außerdem sei er ein potenzieller Selbstmordattentäter gewesen, allein deswegen hätten schon "grundsätzliche Selbstmordabsichten" vorgelegen. Die sächsische Justiz hatte gestern betont, im Vorfeld keine Hinweise auf eine unmittelbare Suizidgefahr gesehen zu haben. Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU ) reagierte entsetzt. Nun würde man keine Informationen mehr über weitere Tatbeteiligte, Hintermänner und Netzwerke erhalten.

Al-Bakr war nach seiner Flucht am Montag in Leipzig verhaftet worden, nachdem ihn syrische Flüchtlinge dingfest gemacht hatten. Dem Vernehmen nach soll der Syrer Verbindungen zur Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gehabt und einen Anschlag auf einen Berliner Flughafen geplant haben. CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach nannte den Suizid daher eine "Tragödie für die Sicherheitsbehörden des Landes". Nun könne nicht mehr geklärt werden, von wem der Syrer Sprengstoff bekommen und wen er bei seinem längeren Aufenthalt in der Türkei getroffen habe. Zudem bleibe im Dunkeln, ob al-Bakr ein Einzeltäter oder Mitglied einer Gruppe gewesen sei, "die immer noch Anschläge plant". SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach twitterte, der Syrer "nehme wertvolle Infos mit".

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Hintergrund In saarländischen Gefängnissen hat es nach Angaben des Justizministeriums seit 2006 durchschnittlich ein bis zwei Suizide pro Jahr gegeben. Die meisten geschahen im geschlossenen Männer-Vollzug in der JVA Saarbrücken. Im Jugendstrafvollzug hat sich in den vergangenen zehn Jahren ein Gefangener das Leben genommen. Im laufenden Jahr gab es im gesamten saarländischen Justizvollzug noch keinen Suizid. Um Nachahmer-Effekte zu vermeiden, nennt das Ministerium keine Details zu den Umständen von Suiziden. Wissenschaftlich belegt ist, dass Gefangene - vor allem in der Untersuchungshaft - eine besondere Risikogruppe für Selbsttötungen darstellen. tho

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