Es lebe der König

Gelassen gehe er in die Sitzung, sagte Rainer Brüderle, die Laptop-Tasche in der Hand, ein Lächeln auf dem Gesicht. Eineinhalb Stunden später kam der Wirtschaftsminister wieder heraus aus dem Treffen des FDP-Präsidiums mit den Landeschefs. Da hatte die Partei zwar einen neuen designierten Vorsitzenden und die Regierung einen neuen Vizekanzler, Philipp Rösler, aber Brüderle immer noch seinen Job

Gelassen gehe er in die Sitzung, sagte Rainer Brüderle, die Laptop-Tasche in der Hand, ein Lächeln auf dem Gesicht. Eineinhalb Stunden später kam der Wirtschaftsminister wieder heraus aus dem Treffen des FDP-Präsidiums mit den Landeschefs. Da hatte die Partei zwar einen neuen designierten Vorsitzenden und die Regierung einen neuen Vizekanzler, Philipp Rösler, aber Brüderle immer noch seinen Job. "Gelassenheit zahlt sich immer aus", meinte der 65-Jährige.Über das Schicksal des FDP-Urgesteins entschieden drei Politiker, die alle ungefähr das halbe Lebensalter Brüderles haben und ihn ursprünglich eigentlich weghaben wollten. Gesundheitsminister Rösler, 38, Generalsekretär Christian Lindner, 32, und NRW-Landeschef Daniel Bahr, 34. Im Parteimund heißt das neue Machtdreieck wahlweise "Bambinis", "Boy-Group" oder "U-40". Doch mussten die Nachwuchsführer gleich bei ihren ersten Schritten lernen, dass alleine Laufen auch in der Politik so leicht nicht ist.

Schon das Amt des Vizekanzlers hatte Rösler Westerwelle regelrecht abpressen müssen - mit der Drohung, sonst nicht anzutreten. Der Außenminister hatte tatsächlich die Vorstellung, auch nach seinem Rücktritt noch der wichtigste Ansprechpartner der Kanzlerin im Kabinett bleiben zu können. Den gewünschten Wechsel ins Wirtschaftsministerium aber konnte Rösler gestern nicht durchsetzen. Brüderle wehrte sich schon Montagmorgen im Präsidium mit Leibeskräften, sprach von einer drohenden "blutigen" Auseinandersetzung und mobilisierte seine Truppen. Ob der Hesse Jörg-Uwe Hahn oder der Finanzpolitiker Otto Fricke, sie alle und noch einige mehr erklärten, dass Brüderle bleiben müsse. So war Rösler klar, dass er die volle Macht nur um den Preis einer Kampfabstimmung bekommen könnte. Die wollte er nicht.

Schließlich haben sich die drei Jungen vorgenommen, einen anderen Stil zu pflegen. Teamarbeit und Mannschaftsspiel waren die Worte, die von den "Bambinis" gestern am häufigsten gebraucht wurden. Rösler sagte versöhnlich, dass man eine gute Mischung aus jungen und erfahrenen Leuten brauche. Die Demutsgesten gingen so weit, dass er in der Sitzung zunächst alle Teilnehmer der Reihe nach über den Zustand der Partei reden ließ, ehe er sich als letzter zu Wort meldete und Klarheit schuf: Er werde beim Parteitag Mitte Mai in Rostock als Westerwelles Nachfolger antreten und Gesundheitsminister bleiben. Damit war die Luft raus und Brüderle konnte endlich aufatmen.

Freilich wollte Rösler auch nicht als Weichei missverstanden werden. Deshalb betonte er, dass er auch Vizekanzler werde, "und der bestimmt den Kurs der liberalen Minister im Kabinett". Sollte heißen: Falls Brüderle noch einmal quer schießt wie etwa mit seinem Protest gegen die Atomwende ("hysterisch"), oder irgendein anderer Minister, inklusive Westerwelle, dann kann Rösler doch noch anders.

Außerdem betonte er, dass der Wechsel an der Parteispitze nur der erste Schritt einer grundlegenden Erneuerung sei. "Weitere müssen und werden folgen." Das dürfte bedeuten: Keiner kann sich sicher sein. Ausgenommen sind nur Lindner, den Rösler wieder nominieren will, und Bahr, der wahrscheinlich als Parteivize nachrückt. Damit darf auch die umstrittene Fraktionschefin Birgit Homburger noch nicht als endgültig gerettet gelten, deren Wiederwahl im Oktober ansteht.

Tränen in die Augen

Gestern aber brauchten die drei "Bambinis", die nun das Sagen haben, die 45-Jährige noch, denn es galt auch die Fraktion zu beruhigen. Bei dem Treffen der 93 Abgeordneten mit dem Parteivorstand, das nach der Sitzung der Parteispitze stattfand, ging es nach diesen Vorklärungen auch dann zwar ernst und emotional, aber freundlich zu. Gegen 14.15 Uhr beklatschten die Anwesenden Westerwelle nach dessen kurzer Abschiedsrede so heftig, dass dem die Tränen in die Augen schossen. Gegen 15.36 Uhr beklatschten sie Rösler nach dessen kurzer Antrittsrede ebenso heftig und riefen bald in einem ersten, noch zaghaften Sprechchor "Philipp, Philipp". Eine Stunde und 21 Minuten lagen gestern bei den Liberalen also zwischen "Der König ist tot" und "Es lebe der König".

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