"Es ist einfach zu viel geworden"

Herr Überall, hätte Duisburgs OB Sauerland nicht schon längst zurücktreten müssen?Überall: Der Druck auf ihn ist natürlich sehr groß. Die Geschichte der Rücktritte in Deutschland zeigt aber auch, dass es vor allem darauf ankommt, ob die eigene Basis noch hinter einem steht. Und das ist der Fall. Große Teile der CDU und der Stadtverwaltung halten klar zu ihm

Herr Überall, hätte Duisburgs OB Sauerland nicht schon längst zurücktreten müssen?Überall: Der Druck auf ihn ist natürlich sehr groß. Die Geschichte der Rücktritte in Deutschland zeigt aber auch, dass es vor allem darauf ankommt, ob die eigene Basis noch hinter einem steht. Und das ist der Fall. Große Teile der CDU und der Stadtverwaltung halten klar zu ihm. Insofern ist sein Verhalten zunächst nachvollziehbar, dem einzelnen Bürger aber nicht mehr zu erklären.

Und Christian Wulff - sollte er zurücktreten?

Überall: Vor ein paar Tagen hätte ich noch gesagt, die Vorwürfe müssen erst einmal geklärt werden. Langsam werden die Vorwürfe aber so zahlreich und so substanziell, dass er sich keinen großen Gefallen mehr tut, dies alles im Amt aufzuklären. Es ist einfach zu viel geworden.

Kennen Sie ähnliche Fälle, die mit einem Rücktritt geendet sind?

Überall: Gerhard Glogowski zum Beispiel, der als Ministerpräsident von Niedersachsen zurückgetreten ist. Da gab es ähnliche Vorwürfe gegen ihn - Unternehmer hatten zum Beispiel eine Geburtstagsparty für ihn gesponsort. Das ist kein neues Phänomen. Es gab aber auch Einzelfälle, die nicht zum Rücktritt geführt haben wie bei Gerhard Schröder, der zum Wiener Opernball eingeladen wurde. Wenn man einmal einen Fehler macht, und damit offensiv umgeht, ist das nicht dramatisch. Wenn die Vorwürfe sich aber zusammenballen wie aktuell bei Wulff oder Lothar Späth mit seiner Traumschiff-Affäre, geht das nicht mehr. Oder wie bei Max Streibl und der Amigo-Affäre. Streibl hat ganz ähnlich wie Wulff argumentiert: "Wo kommen wir denn hin, wenn man als Politiker nicht mal Freunde haben darf? In diesem Sinne, saludos amigos!" Die Einstellung, dass man sich als Politiker einladen lassen darf, ist weit verbreitet.

Und im Fall Wulff ist das Maß jetzt voll?

Überall: Dieses Dauerfeuer wird er nicht aushalten können. Und es stellt sich doch heraus, dass er in seiner Zeit als Ministerpräsident nicht nur das eine oder andere Schnäppchen mitgenommen hat, sondern eine ganze Reihe. Die Vielzahl der Fälle zeigt eine grundsätzliche Einstellung. Im Moment kann ich mir kaum vorstellen, dass er noch einmal reinen Tisch machen kann.

Sie haben Gerhard Schröder erwähnt, der nicht zurücktreten musste. Misst die Öffentlichkeit mit zweierlei Maß?

Überall: Das tut sie immer. Es gab Typen wie Franz Josef Strauß oder Joschka Fischer, die sich eine Menge erlauben konnten, ohne zurücktreten zu müssen. Die Visa-Affäre von Fischer, da erinnert sich heute kaum noch jemand daran. Die Politik macht in solchen Fällen immer eine Kosten-Nutzen-Rechnung auf. Solange diese positiv ausfällt, halten die eigenen Leute an einem fest.

Haben wir höhere Ansprüche als früher?

Überall: Ja, natürlich. Allein die Einstellung zu Korruption hat sich dramatisch gewandelt. Vor 20 Jahren waren Schmiergelder noch von der Steuer absetzbar. Das hieß im Amtsdeutsch tatsächlich "nützliche Aufwendungen". Bei vielen Politikern ist dieser Wandel in der juristischen, moralischen und auch öffentlichen Betrachtung nicht angekommen. Die haben vor 30 Jahren Verhaltensweisen eingeübt, von denen sie sich heute nur schwer lösen können. Foto: gottschalk/dapd

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