Interview mit Renate Künast (Grüne) „Es gibt zu wenig Werbung für Gemüse“

Berlin · Die frühere grüne Ernährungsministerin fordert mehr Engagement von CDU-Amtsinhaberin Julia Klöckner – von klareren Worten bis zur Zuckersteuer.

 Renate Künast (62), Grüne und Bundestagsabgeordnete.

Renate Künast (62), Grüne und Bundestagsabgeordnete.

Foto: dpa/Karlheinz Schindler

Aus Sicht der Grünen Renate Künast lässt es die neue Ernährungs- und Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) aus Rheinland-Pfalz an Taten vermissen. Zum Teil führe sie Verbraucher sogar hinter die Fichte. Über eine Zuckersteuer müsse man nachdenken, sagt Künast, die 2001 bis 2005 selbst Ernährungsministerin war.

Frau Künast, brauchen wir eine Zuckersteuer in Deutschland?

KÜNAST Wir müssen darüber diskutieren.

Ernährungsministerin Julia Klöckner ist dagegen.

KÜNAST Wenn man sich ansieht, wie in den letzten Jahrzehnten die Fallzahlen bei Fettleibigkeit angestiegen sind, dann muss man auch über eine Zuckersteuer nachdenken. Aber wir brauchen mehrere Dinge: Wir müssen zum Beispiel ran an das Werbeverbot für an Kinder vermarktete Produkte. Es gibt zu wenig Werbung für Gemüse, aber zu viel für Süßes. Und es gilt, dass beim Essen in Schulen und Kitas die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung endlich Anwendung finden. Da höre ich von Frau Klöckner zu wenig.

Würde eine Zuckersteuer nicht die Produkte verteuern?

KÜNAST Die Erfahrung aus unserem Nachbarland Großbritannien zeigt: Durch die Zuckersteuer haben Hersteller ihre Rezepturen geändert und den Zuckerzusatz soweit reduziert, dass keine zusätzliche Steuer mehr anfällt. Das erfreuliche Resultat: gleiche Preise für Limo, aber weniger Zucker drin!

Kann man sich gesund und ausgewogen ernähren, auch wenn man arm ist? Frau Klöckner sagt, dass das geht.

KÜNAST Ja. Da hat sie nicht Unrecht. Doch jetzt kommt mein aber: Frau Klöckner führt uns mit einer solchen Aussage hinter die Fichte.

Warum?

KÜNAST Sie suggeriert, dass es allein um die individuelle Verhaltensweise geht, wenn man sich ausgewogen ernähren will. Das stimmt eben nicht. Ich frage: Wie soll der Verbraucher sich zurechtfinden, wenn die ganze Welt voll ist mit Werbung, wenn Sie nicht einmal in den Bahnhof gehen können, ohne mit Fast-Food-Angeboten überschüttet zu werden? Verbraucher müssen sich heutzutage angesichts des Überangebots extrem bemühen. Es geht also um Strukturfragen im Ernährungsbereich und damit auch um die Industrialisierung des Nahrungsmittelmarktes. Da anzusetzen, davor drückt sich die neue Ministerin.

Heißt das, eine gute Ernährungspolitik muss weniger auf die Verbraucher und mehr auf die Industrie abzielen?

KÜNAST Das heißt es. Die Industrie hat sich seit Jahrzehnten dahingehend entwickelt, möglichst billige Rohstoffe einzusetzen. Also viel Salz, Fett und Zucker in ihre Produkte aufzunehmen. Sich den ganzen Tag über ungesund zu ernähren, ist einfach. Es muss aber umgekehrt einfach sein. Deswegen muss man der Industrie sagen: So kann es nicht laufen, dass die gesetzlichen Krankenkassen und die Verbraucher die Folgen tragen. Da die Branche von allein kaum Veränderungen vornehmen will, muss es klare Limits für die verschiedenen Produkte geben, zum Beispiel Softdrinks. Die Industrie darf jedenfalls nicht länger die Regeln bestimmen.

Da wird die neue Ministerin aber nicht mitgehen.

KÜNAST Wir werden sehen. Bei mir klingelt es in den Ohren, weil Frau Klöckner alle Begriffe, die ich damals als Ministerin in die Debatte gebracht habe, wieder benutzt. Passiert ist noch nichts. Den schönen Worten müssen mal Taten folgen.

Sind Sie eigentlich für ein Schulfach Ernährung? Seit Jahren immer wieder ein umstrittenes Thema.

KÜNAST Das habe ich schon vor Jahren gefordert. Da beißt man sich aber an der Kultusministerkonferenz die Zähne aus. Ein solches Fach kann übrigens nicht so funktionieren, dass man den Schülern eintrichtert, werft weniger weg oder berechnet jeden Tag eure Gesamtkalorienzahl. Schüler müssen eingebunden werden, zum Beispiel beim Schulessen. Noch besser, angesichts von Gesundheitsproblemen, Klimawandel und Artensterben: Die Städte brauchen Ernährungsstrategien. Die Bewegung der Bürger gibt es dazu schon.

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