Interview Gerd Glaeske „Es gibt keine staatliche Prüfbehörde“

Berlin · Der Gesundheitsforscher macht die Politik für den Medizinprodukte-Skandal verantwortlich.

 Ein Chirurg zeigt das Modell eines künstlichen Hüftgelenks. Nach Medien-Recherchen gab es im vergangenen Jahr mehr als 14 000 Komplikationen im Zusammenhang mit Medizinprodukten.

Ein Chirurg zeigt das Modell eines künstlichen Hüftgelenks. Nach Medien-Recherchen gab es im vergangenen Jahr mehr als 14 000 Komplikationen im Zusammenhang mit Medizinprodukten.

Foto: picture alliance / zb/dpa Picture-Alliance / Hans Wiedl

In Deutschland wurden nach Medien-Recherchen allein im vergangenen Jahr mehr als 14 000 Komplikationen und Todesfälle im Zusammenhang mit Medizinprodukten wie Insulin-Pumpen, Hüft­implantaten oder Herzkathetern gemeldet. Für den Bremer Gesundheitswissenschaftler Gerd Glaeske ist das allerdings nur die Spitze des Eisbergs. Woran es konkret hakt, erklärte Glaeske im Gespräch mit unserer Zeitung.

Herr Glaeske, hat Sie das Ausmaß der Enthüllungen überrascht?

GLAESKE Nein, überhaupt nicht. Die Zahlen sind aus meiner Sicht noch zu niedrig gegriffen. In Deutschland gibt es pro Jahr allein rund 400 000 Hüft- und Kniegelenkoperationen. Da werden längst nicht alle Komplikationen gemeldet, zumal es hier auch keine Meldepflicht gibt. Wir in unserem Bremer Institut haben uns schon vor sieben Jahren, als das AMNOG-Verfahren zur Prüfung von Arzneimitteln in Kraft trat, für ein vergleichbares Gesetz zur Neuordnung des Medizinprodukte-Marktes eingesetzt. Aber politisch ist leider nichts passiert.

Warum werden Medikamente vergleichsweise akribisch geprüft, Medizinprodukte aber nicht?

GLAESKE Das hat etwas mit der Menge und den Kosten zu tun. Für Medikamente haben die Krankenkassen im vergangenen Jahr etwa 40 Milliarden Euro ausgegeben, für Medizinprodukte etwa 23 Milliarden Euro, allerdings mit starken Steigerungen in den letzten Jahren. Erst da kam dieser Bereich mehr und mehr in den Fokus für wirksame Kontrollen. Aber schon vor etwa 20 Jahren gab es einen Herzklappen-Skandal. Doch die Empörung darüber ist leider im Sande verlaufen.

Also kann sich ein Betroffener auch nicht objektiv informieren, bevor er sich zum Beispiel eine Herzklappe einsetzen lässt?

GLAESKE Das ist wie bei allen Operationen. Man muss auf die Ärzte und Krankenhäuser vertrauen und zum Beispiel in die Weiße Liste schauen. Dass Ärzte dabei womöglich mit bestimmten Herstellern von Medizinprodukten kooperieren, schränkt die Objektivität natürlich stark ein. Betroffene können nur nach den Erfahrungen des Arztes mit solchen Produkten fragen und nach dem Hersteller, um sich entsprechend weiter zu informieren. Aber wirklich befriedigend ist das nicht.

Wer trägt dafür die Hauptverantwortung?

GLAESKE Die zentrale Schuld liegt in den politischen Versäumnissen. Nicht nur in Berlin, sondern auch in der EU. Medizinprodukte haben alle ein CE-Kennzeichen. Es besagt aber lediglich, dass sie in allen EU-Ländern vermarktet werden können. Darauf stützen sich die Hersteller. Doch das CE-Kennzeichen, wie es private Prüfstellen, beispielsweise der Tüv, vergeben, ist kein Merkmal für den geprüften Nutzen beim Patienten. Hierfür ist es bedeutungslos.

Aber es gibt doch ein spezielles Bundesinstitut, das mit der Bewertung von Medizinprodukten betraut ist. Warum funktioniert das nicht?

GLAESKE Sie meinen das BfArM. Das ist nur für arzneimittelähnliche Medizinprodukte zuständig, aber nicht für Implantate. Dafür gibt es bislang keine staatliche Prüfbehörde. Das besorgen ausschließlich private Stellen, die auch noch von den Herstellern bezahlt werden. Eine absurde Situation.

Gesundheitsminister Spahn will nun eine industrieunabhängige Stelle einrichten, bei der alle verbauten Implantate gemeldet werden müssen…

GLAESKE Eine solche Stelle ist überfällig. Aber sie reicht nicht aus. Es muss auch Zulassungsanforderungen in Form von Zulassungsstudien geben. Aber dagegen wehren sich die Hersteller, weil das Geld kostet und womöglich auch zu Nichtzulassungen führt. Die einfachste und wirksamste Lösung wäre, die Zulassung und Qualitätsbewertung von Medizinprodukten genauso zu regeln, wie es bei Arzneimitteln längst Praxis ist.

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