„Es gibt keine Rechtfertigung für diese brutale Tat“
Die Extremisten im Netz jubeln. Nach der Bluttat von Paris feiern radikale Muslime in den sozialen Medien den Anschlag auf das Satire-Magazin "Charlie Hebdo ". Viele von ihnen erklären die drei Attentäter zu Helden.
"Möge Allah unsere französischen Brüder belohnen", schreibt ein Nutzer mit dem Namen "Abu Dujana" auf Twitter . Dort kursiert auch ein Foto, das zeigt, wie Kämpfer der Terrormiliz Islamischer Staat syrische Soldaten enthaupten. Der Titel zu dem Bild droht unverhohlen: "Wir fangen an, eure Leute auf euren Straßen abzuschlachten."
Die Extremisten wünschen sich wohl einen Furor, wie er vor fast zehn Jahren ausbrach, als die dänische Tageszeitung "Jyllands-Posten" Mohammed-Karikaturen abdruckte. Damals zogen weltweit Tausende Muslime zu Protesten auf die Straße, bei denen mehr als 150 Menschen ums Leben kamen. Doch von solchen Reaktionen ist in den muslimischen Ländern am Tag nach dem Blutbad nichts zu spüren.
Anders als die Radikalen kritisieren Regierungen, Organisationen und viele Medien das Morden eindeutig. Ein "terroristisches Erdbeben" nennt das ägyptische Blatt "Al-Shorouq" den Anschlag auf seiner ersten Seite und druckt dazu im Blatt eine Karikatur von "Charlie Hebdo ", die den IS-Terroranführer Abu Bakr al-Bagdadi zeigt. Die einflussreiche arabische Tageszeitung "Al-Sharq al-Awsat" spricht auf ihrer Titelseite von einem "Massaker ".
Auch etliche Regierungen wandten sich gegen die Attentate. "Es gibt keine Rechtfertigung für diese brutale Tat", erklärte Afghanistans Präsident Aschraf Ghani. Das türkische Staatsoberhaupt Recep Tayyip Erdogan rief zum Zusammenhalt auf, um zu "zeigen, dass der Terrorismus in Paris und der Hass und die Diskriminierung, die er gegen unsere Religion und Kultur hervorgerufen hat, nicht toleriert werden". In Indonesien verurteilte der Rat muslimischer Prediger (MUI) den Anschlag. "Das verstößt gegen humanitäre Werte und die islamische Lehre", sagte MUI-Sprecher Muhyidin Junaidi.
Unter den Kritikern der Bluttat sind auch Länder und Parteien, denen immer wieder ihre ideologische Nähe zum Dschihadismus vorgeworfen wird - dazu gehören Katar und Saudi-Arabien ebenso wie die islamistische Ennahda-Partei aus Tunesien, die sich "entsetzt und empört über diese feige und kriminelle Tat" zeigte.
Mit Blick auf Unterstützer für radikale Gruppen in der Region hält "Al-Sharq Al-Awsat", ein Blatt in saudischer Hand, den Muslimen sogar den Spiegel vor. Wer Terroristen verteidige, begehe selbst ein Verbrechen, schreibt ein Kommentator - eine klare Anspielung auf Rechtfertigungen für mörderische Attentate, die in muslimischen Ländern immer wieder zu hören sind.
Auch im Netz formiert sich Widerstand, etwa bei Iyad el-Baghdadi, einem bekannten Aktivisten des arabischen Aufstands. "Das Töten von Unschuldigen im Namen des Islam ist für mich als Muslim viel, viel widerwärtiger, als es irgendeine Karikatur jemals sein kann", schreibt er auf Twitter - und wird damit fast 38 000 Mal retweetet.
El-Baghdadi dürfte einer Meinung sein mit dem Karikaturisten Ahmed Giassa aus Kairo, der für mehrere ägyptische Medien zeichnet. "Terroristen sind keine Muslime ", sagt der 32-Jährige. "Sie töten und rufen dabei ,Allahu Akbar' - sie klauen also diesen Ruf uns echten Muslimen. Wir als Karikaturisten müssen dagegen anzeichnen, denn Worte allein können nicht beschreiben, was in Paris passiert ist." Seine nächste Karikatur hat Ahmed Giassa schon im Kopf: Dort konfrontiert ein Terrorist mit Gewehr einen Zeichner mit Stift. Doch die Lobformel "Bismillah" ("Im Namen Gottes") steht über dem Zeichner, nicht über dem Terroristen - die Religion will Ahmed Giassa jedenfalls nicht den Extremisten überlassen.
Als eine unentschuldbare Barbarei verurteilte auch die Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland den Terroranschlag auf "Charlie Hebdo ". Die Tat sprenge jede Grenze religiöser Prinzipien und stehe im klaren Widerspruch zu allen Glaubensinhalten des Islam , erklärte die Gemeinschaft, die sich als eine islamische Reformbewegung versteht. Der Koran garantiere Meinungs- und Redefreiheit. Gemäß den Lehren des Islam stehe es keinem Menschen zu, über andere wegen vermeintlicher Blasphemie oder Prophetenlästerung zu richten oder sie gar zu bestrafen. Ahmadiyya beklagte, bedauerlicherweise erreiche nun die Angst vor dem Islam eine neue Dimension. Sie warnte vor einer Spaltung der Gesellschaft. Dem könne einzig durch eine Stärkung der Einheit aller demokratischen Kräfte über die Konfessionsgrenzen hinweg begegnet werden.
Nach Ansicht des Islamwissenschaftlers Rauf Ceylan von der Universität Osnabrück müssen Gläubige aller Religionen satirische Provokationen und Verunglimpfungen aushalten. "Natürlich muss man in einer freien Gesellschaft die freie Meinungsäußerung respektieren", sagte er. "Wie man persönlich mit solchen Provokationen umgeht, ist eine andere Sache. Ich finde sie auch geschmacklos", betonte Ceylan.