Es fährt kein Zug nach irgendwo

Mainz · Ärger, Chaos, Gespött: Der Mainzer Hauptbahnhof ist international in die Negativ-Schlagzeilen gerückt. Die Bahn verspricht kurzfristige Linderung, kann aber den Normalbetrieb erst ab Ende August gewährleisten.

. "Dieser Zug fällt heute aus." Im Sekundentakt flimmert der Satz über die Anzeigentafel im Mainzer Hauptbahnhof. Er weist auf Regionalbahnen nach Armsheim, Frankfurt oder Wiesbaden hin, die gestrichen worden sind. Ratlose Reisende bevölkern verärgert den Informationsschalter oder sprechen mit den Bahn-Servicekräften in neongelben Westen, die im Gebäude unterwegs sind. "Man fragt uns", erzählt einer von ihnen, "aber der Unmut hält sich in Grenzen."

Als sie das hört, platzt Christina Lehmkuhl beinahe der Kragen. "Das ist wirklich unfassbar, was hier abgeht", äußert sich die 43-Jährige, die mit ihrem Sohn Tim in der letzten Woche der Sommerferien noch für ein paar Tage ihre Cousine in Aschaffenburg besuchen wollte. "Dieser Zug fährt heute nicht", prangt auf der Anzeigentafel. Frustriert schiebt Lehmkuhl ihren Trolley zum Ausgang. Geht es nach Anita Kovacs, dann sollten einige Bahnmanager die Koffer packen. "Dass ein Unternehmen wie die Deutsche Bahn mit tausenden Mitarbeitern dieses Problem nicht lösen kann, ist mir unbegreiflich", schimpft sie. Der kleine Tabakladen, in dem sie arbeitet, verzeichnet spürbare Umsatzeinbußen. Seit mehr als einer Woche lacht Deutschland schon über den Geisterbahnhof in Mainz, bei dem der Bahnverkehr aufgrund kranker und urlaubender Fahrdienstleiter halbwegs - abends sogar komplett - zum Erliegen gekommen ist. Nachdem neuerdings auch verstärkt der Regionalverkehr betroffen ist, haben sich viele Berufspendler offenbar umorientiert. Noch bevor in der rheinland-pfälzischen Staatskanzlei der von Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Verkehrsminister Roger Lewentz (beide SPD) einberufene Gipfel zusammentritt, beginnt ein politisches Schwarzer-Peter-Spiel. Lewentz wirft Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) Versagen vor, der das zurückweist. Dann bekommt Lewentz selbst eins auf die Mütze. Seine und Dreyers Initiative sei "Ausdruck der eigenen Hilflosigkeit", höhnt FDP-Landeschef Volker Wissing.

Ministerpräsidentin Malu Dreyer steht die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben, als sie nach dem Bahn-Gipfel in der Staatskanzlei resümiert, es gebe zwar "deutliche Linderungen, aber keinen Vollbetrieb". Eines betont die Regierungschefin: "Es ist nicht fair und angemessen, das Ganze auf den Buckel der Beschäftigten zu schieben."

Frank Sennhenn, Vorstandschef der Bahn-Tochter DB Netz, hatte beim Krisengipfel einen Zehn-Punkte-Maßnahmenplan angekündigt. Neun Fahrdienstleiter mehr würden nach Mainz geschickt. Bundesweit würden zusätzlich 340 Kräfte eingestellt. Zudem will die Bahn eine "Personalüberdeckung" einführen, damit Fahrdienstleiter künftig auch in benachbarten Stellwerken arbeiten können. Laut der Gewerkschaft GDL fehlen in Deutschland auch noch 800 Lokführer.

In Mainz soll ab sofort an den Wochenenden wieder der übliche Fahrplan gelten. Normal rollt die Bahn aber wohl erst am 30. August. Alexander Kirchner, Chef der Gewerkschaft EVG, sieht überzogene Renditeerwartungen des Bundes, der Bahn-Eigentümer ist, als Hauptgrund für die Misere.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort