"Erschüttert und fassungslos"

München. Man kann sich kaum etwas Schrecklicheres vorstellen: Vater und Mutter sind nicht zu Hause, arbeiten oder sind auf einem Fest. Als sie wiederkommen, finden sie ihr Kind - ermordet im eigenen Haus. Solche Fälle sind sehr selten, aber es gibt sie. Etwa in Krailling bei München, wo in der vergangenen Woche zwei Mädchen erschlagen und erstochen wurden

München. Man kann sich kaum etwas Schrecklicheres vorstellen: Vater und Mutter sind nicht zu Hause, arbeiten oder sind auf einem Fest. Als sie wiederkommen, finden sie ihr Kind - ermordet im eigenen Haus. Solche Fälle sind sehr selten, aber es gibt sie. Etwa in Krailling bei München, wo in der vergangenen Woche zwei Mädchen erschlagen und erstochen wurden. Ihre Mutter entdeckt sie, als sie nachts von der Arbeit zurückkehrt. "Das ist so eine spezielle Konstellation, so was gab es vorher fast nie", sagt Professor Dieter Dölling vom Institut für Kriminologie der Uni Heidelberg über den Doppelmord von Krailling. Auch Christian Pfeiffer, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, ist überzeugt: "Eine Tat in dieser Form ist noch nie da gewesen, ich kenne nichts Vergleichbares."Ein wenig vergleichbar scheint nur der Fall Vanessa aus Gersthofen bei Augsburg: In der Nacht zum Faschingsdienstag 2002 wird sie das zufällige Opfer eines damals 19-Jährigen. Verkleidet als der Tod, mit schwarzem Umhang und grinsender Totenkopfmaske, schleicht er sich ins Kinderzimmer. Mit einem Küchenmesser sticht er mehr als 20 Mal auf das Mädchen ein. Die Eltern, die nachts von einem Faschingsball nach Hause kommen, entdecken Vanessa blutüberströmt und leblos. Erst nach mühsamer kriminalistischer Feinarbeit findet die Polizei die heiße Spur. An dem Messer war DNA des Täters. Zehn Tage nach dem Mord wird er als dringend tatverdächtig festgenommen.

Der Mörder von Vanessa kannte sein Opfer nicht. Doch solche Fälle sind äußerst selten. Laut Statistik des Bundeskriminalamtes werden die meisten Morde innerhalb der Familie begangen. Im Jahr 2009 wurden 365 Menschen Opfer eines solchen Verbrechens - davon 46 Kinder unter 14 Jahren. 137 der Opfer wurden von Verwandten oder Lebenspartnern getötet, 84 von Bekannten. Nur in 50 Fällen gab es keine Vorbeziehung zwischen Opfer und Täter.

"Es würde mich sehr überraschen, wenn es im Fall Krailling ein Wildfremder war", sagt Kriminologe Pfeiffer. Er vermutet eher, dass ein gezielter Racheakt hinter der Tat steckt. "Jemand hatte es genau auf diese beiden Kinder abgesehen. Er wusste, wie er rein kommt, und dass die Mutter nachts arbeitet." Vielleicht sei es ein "Hassdelikt" gewesen, mit dem jemand die Mutter treffen wollte.

Manchmal bleibt das Motiv für immer im Dunkeln. Im August 2006 bringt ein damals 19-Jähriger die 15-jährige Nadine aus Wetter an der Ruhr in Nordrhein-Westfalen um. Der frühere Mitschüler von Nadines Schwester wusste, dass das Mädchen allein ist, die Eltern auf einer Feier. Tage vorher hatte er dies von Nadine selbst erfahren: Im Internet-Chat horchte er sie unter anonymer Identität aus. Auch im Fall Krailling waren die Mädchen im Internet unterwegs. Vielleicht wusste ihr Mörder daher, dass sie allein waren. Anders als im Fall Vanessa konnte der Mörder jedoch nicht ins Zimmer der Mädchen sehen, denn die Wohnung liegt im ersten Stock, wie die Polizei erklärt.

Am Freitag stehen in vielen Münchner Tageszeitungen Todesanzeigen für Chiara und Sharon. "Erschüttert und fassungslos müssen wir erkennen, dass es auf viele Fragen keine Antwort gibt", heißt es darin. Am Vormittag nehmen die Eltern dann Abschied von ihren Kindern. "In stiller Trauer für zwei liebe Engel", steht auf einem Blumenband. Bei der Feier im Familien- und Freundeskreis sind mehrere Dutzend Gäste anwesend. Sie halten Andacht vor den bunt bemalten Särgen der Mädchen. Klassenkameraden durften sie mit Acrylfarben bemalen. Blumen und ein Löwenkopf sind darauf zu sehen sowie Sprüche wie "Keiner wird dich je vergessen" oder "Mach's gut, du freche Maus". Wann die Mädchen beigesetzt werden, ist derzeit noch unklar.

Hintergrund

 Mit Kerzen, einem Engel und einem Foto gedenken Nachbarn der beiden Mädchen. Foto: dpa

Mit Kerzen, einem Engel und einem Foto gedenken Nachbarn der beiden Mädchen. Foto: dpa

 Mit Kerzen, einem Engel und einem Foto gedenken Nachbarn der beiden Mädchen. Foto: dpa

Mit Kerzen, einem Engel und einem Foto gedenken Nachbarn der beiden Mädchen. Foto: dpa

Acht Tage nach dem brutalen Mord an den acht und elf Jahre alten Schwestern hat die Polizei gestern einen Tatverdächtigen verhaftet. Der Mann wurde in Peißenberg im Kreis Weilheim-Schongau festgenommen, sagte ein Polizeisprecher am späten Abend. Der mutmaßliche Täter sei ein Verwandter der Familie, der aus Peißenberg stamme. Seine Vernehmung dauerte am Abend an. Am Sonntag will die Polizei bei einer Pressekonferenz weitere Informationen geben. dapd/dpa

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