„Erich, es geht nicht mehr“
Ost-Berlin · Eine friedliche Revolution läutet 1989 das Ende der deutschen Teilung ein. In einer Serie stellen wir in loser Folge Meilensteine auf dem Weg zum Mauerfall vor. Heute Teil 7: der Rücktritt von DDR-Staats- und Regierungschef Erich Honecker.
Es ist Mittwoch, der 18. Oktober 1989. Das Zentralkomitee der SED tritt zu einer Sondersitzung zusammen. Schon vorher steht fest, was es zu beschließen gibt: Erich Honeckers Rücktritt. Der Sturz des SED-Chefs und Staatsratsvorsitzenden der DDR war zuvor von den Politbüro-Genossen Egon Krenz , Siegfried Lorenz und Günther Schabowski eingefädelt worden. Die konspirative Aktion der alten Kader war eine letzte verzweifelte Reaktion auf den andauernden Exodus der Menschen. Doch auch sie konnte den Sozialismus des Arbeiter- und Bauernstaates nicht mehr retten: Die DDR steuerte unaufhaltsam ihrem Ende entgegen.
Erich Honecker , damals 77, gebürtiger Saarländer aus Wiebelskirchen. Seit 1971 Generalsekretär der SED und damit die mächtigste Person in Ostdeutschland. Fahl und grau ist er geworden in diesen 18 Jahren, und gesund ist er auch nicht mehr. Der Unruhen im Land, die wachsende Flüchtlingswelle und die Montagsdemonstrationen haben den erschöpften Chefsozialisten überfordert. Zu allem Überfluss steckte er noch in einem ernsten Konflikt mit Moskau: Die Perestroika des sowjetischen Staatschefs Michail Gorbatschow war ihm immer suspekt, auch persönlich stimmte die Chemie zwischen den beiden nicht. Weil Honecker zudem keinen Plan hatte, wie er mit der revolutionären Lage in der DDR umgehen sollte, war sein Sturz nur eine Frage der Zeit.
Einer, der dabei war, hat es unserer Zeitung später erzählt: Günther Schabowski, Mitglied des Politbüros und der Mann, der am 9. November 1989 mit einem Versprecher Geschichte schreiben sollte: "Wir wussten alle, dass es so nicht weitergehen konnte", sagte er der SZ. Deshalb habe man erstmal untereinander sondiert, was zu tun sei - und sei beim Namen Honecker hängen geblieben.
Die drei Verschwörer redeten erst mit den Genossen Günther Mittag, Willi Stoph und Erich Mielke . Als diese zustimmten, wurde vereinbart, in Moskau Michail Gorbatschow zu informieren. Diese Aufgabe übernahm Harry Tisch , der gerade dort weilte. Als Tag des Sturzes legte man den 18. Oktober fest: Sondersitzung des Zentralkomitees der SED.
Doch das alte Geheimkartell war längst zerstört. Deshalb war schon tags zuvor bis nach Bonn durchgesickert, dass Honeckers Stunde schlagen wird. Am Rhein war man in Hochstimmung, die Bundesregierung um Helmut Kohl , aber auch die SPD mit Hans-Jochen Vogel und Willy Brandt war bereits informiert: Honecker muss gehen. Auch in Ostberlin wussten die Kader am 17. Oktober schon Bescheid - sie hörten ja alle den "Deutschlandfunk " des Klassenfeindes (wie Schabowski zugab).
Honecker war an diesem Tag zur wöchentlichen Sitzung des Politbüros gekommen, hatte sich auf seinen Platz gesetzt und die Sitzung eröffnet. Ministerpräsident Stoph ergriff das Wort und stellte den Antrag: "Abwahl des Generalsekretärs der SED und Vorsitzenden des Staatsrats der DDR ". Honecker tat so, als habe er nichts gehört. Mit brüchiger Fistelstimme hob er an, "wir fahren fort in der Verlesung des Protokolls . . .", als ihn Stoph jäh unterbrach: "Erich, es geht nicht mehr. Du musst gehen". Es kam, wie es kommen musste. Die Runde stimmte ab, Honecker hob selbst die Hand zu seiner Abwahl.
An seine Stelle trat Egon Krenz , der ebenso einstimmig gewählt wurde. Honecker sagte nichts mehr und ließ sich nach Hause nach Wandlitz fahren. Die politische Karriere des Mannes, die einst bei der kommunistischen Jugend im Saarland begonnen hatte, war damit zu Ende. Die SZ schrieb am nächsten Tag: "DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker ist am Mittwoch entmachtet worden. Das Zentralkomitee (ZK) der SED bestimmte auf der mit Spannung erwarteten Sondersitzung den 52-jährigen ,Kronprinzen' Egon Krenz zu seinem Nachfolger. Mit Honecker verloren auch der Wirtschaftsexperte Günter Mittag und das für die Massenmedien verantwortliche Politbüromitglied Joachim Hermann ihre Posten. Das ZK reagierte damit auf die größten Massenproteste in der Geschichte des Landes, die Massenausreise von DDR-Bürgern und die anhaltenden Forderungen nach Reformen."
Dass die verbliebenen Mitglieder des Politbüros und Zentralkomitees offenbar immer noch glaubten, mit der Auswechslung des ersten Mannes die dramatische Lage in der DDR beruhigen zu können, zeigten die ersten Stellungnahmen von Krenz. Im DDR-Fernsehen sagte er: "Mit der heutigen Tagung werden wir eine Wende einleiten." Dann kündigte er noch "neue Reisebestimmungen" an. Tatsächlich war die Wende im Arbeiter- und Bauernparadies in vollem Gange - aber anders, als von Krenz gedacht. Und die Reisebestimmungen sollten die neue DDR-Führung vollends ins Chaos stürzen. Als Günther Schabowski die Details am 9. November abends gegen 18 Uhr erläutern wollte und auf Nachfragen stammelte: "Das gilt . . . soweit ich weiß . . . unverzüglich", war das die Initialzündung zu einem Ereignis, das Weltgeschichte schreiben sollte: Noch in derselben Nacht fiel die Mauer.
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HintergrundDie Rücktrittsrede von Staatschef Honecker vor dem SED-Zentralkomitee: "Liebe Genossinnen und Genossen! Nach reiflichem Überlegen und im Ergebnis der gestrigen Beratung im Politbüro bin ich zu folgendem Entschluss gekommen: Infolge meiner Erkrankung und nach überstandener Operation erlaubt mir mein Gesundheitszustand nicht mehr den Einsatz an Kraft und Energie, den die Geschicke unserer Partei und des Volkes heute und künftig verlangen. Deshalb bitte ich das Zentralkomitee, mich von der Funktion des Generalsekretärs des ZK der SED, vom Amt des Vorsitzenden des Staatsrates der DDR und von der Funktion des Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates der DDR zu entbinden. (...) Liebe Genossen! Mein ganzes bewusstes Leben habe ich in unverrückbarer Treue zur revolutionären Sache der Arbeiterklasse und zu unserer marxistisch-leninistischen Weltanschauung der Errichtung des Sozialismus auf deutschem Boden gewidmet. Die Gründung und die erfolgreiche Entwicklung der sozialistischen Deutschen Demokratischen Republik (...) betrachte ich als die Krönung des Kampfes unserer Partei und meines eigenen Wirkens als Kommunist. Dem Politbüro, dem Zentralkomitee, (...) der Partei und allen Bürgern unseres Landes danke ich für jahrzehntelanges gemeinschaftliches und fruchtbares Handeln zum Wohle des Volkes. (…) Ich wünsche unserer Partei und ihrer Führung auch weiterhin die Festigung ihrer Einheit (…) und dem Zentralkomitee weiteren Erfolg."