Kommunalwahl in der Türkei Erdogans AKP-Bastion Istanbul droht zu fallen

Istanbul · Die Opposition gewinnt nach der Kommunalwahl in der Türkei voraussichtlich auch die Macht in der Hauptstadt Ankara.

 Ekrem Imamoglu von der oppositionellen CHP könnte Bürgermeister von Istanbul werden.

Ekrem Imamoglu von der oppositionellen CHP könnte Bürgermeister von Istanbul werden.

Foto: dpa/Stringer

Er sieht müde aus, aber das Lächeln kann er sich trotzdem nicht verkneifen: Geschätzt zehn Mal ist der Bürgermeisterkandidat der Oppositionspartei CHP für Istanbul, Ekrem Imamoglu, seit Schließung der Wahllokale schon vor die Presse getreten. Montagmittag dann hält er eine kurze Siegesrede. „Ich verspreche, ein Bürgermeister zu sein, der jeden Teil der Istanbuler Gesellschaft umarmen wird“, sagt er. Imamoglu wischt sich mehrmals mit einem Tuch über Stirn und Augen. Geschlafen hat er in der spannenden Wahlnacht nicht, zu knapp ist das Ergebnis. Und zu groß die Gefahr der „Manipulation“, wie er mehrmals sagt.

Denn: Das offizielle Wahlergebnis für die Kommunalwahl in der Türkei lag auch gestern Abend noch nicht vor. Nach letzten Zahlen der Wahlbehörde hatte der 48-jährige Imamoglu für die Mitte-Links-Partei CHP in Istanbul jedoch einen hauchdünnen Vorsprung vor seinem AKP-Gegner, dem ehemaligen Ministerpräsidenten Binali Yildirim. In Ankara war der Vorsprung deutlicher: CHP-Kandidat Mansur Yavas (63) hat dort nach vorläufigen Ergebnissen gesiegt.

Imamoglu und Yavas scheinen geschafft zu haben, was lange niemand für möglich hielt: Sie haben die Hauptstadt Ankara und das ökonomische Herz des Landes, Istanbul, für die Oppositionspartei CHP gewonnen und damit die 15 Jahre lange Herrschaft der islamisch-konservativen AKP beendet. Dieser Sieg für die Opposition – sollte er sich bestätigen – hat große symbolische Bedeutung vor allem für Präsident Recep Tayyip Erdogan, der selbst Bürgermeister von Istanbul war.

Die Kommunalwahl ist ein Denkzettel für Erdogan. Obwohl die AKP landesweit stärkste Kraft wurde und im kurdisch geprägten Südosten teils sogar zulegen konnte, zeichnet sich für die Opposition auch ein Sieg in den wichtigen Metropolen Izmir, Antalya und Adana ab.

Erdogan selbst hatte die Wahl hochstilisiert zu einem Kampf um Fortbestand oder Niedergang des Landes und sie damit zu einem Votum über seine Politik gemacht. „Wer Istanbul gewinnt, gewinnt die Türkei“, sagen die Großstädter. Nun hat die AKP Istanbul wohl verloren.

Ob Erdogan das Wahlergebnis widerstandslos akzeptiert, steht auf einem anderen Blatt. Am Sonntagabend umschiffte er die Frage nach der Niederlage in Istanbul und Ankara und sprach lieber über die Erfolge seiner Partei. Die AKP hat schon Einspruch angekündigt – in beiden Metropolen. Der Türkei-Experte Günter Seufert von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) geht davon aus, dass sich die AKP mit einer Niederlage in Ankara abfinden werde, nicht aber in Istanbul. „Da könnten über den Weg des Einspruchs Fakten geschaffen werden“, sagt er. Auch wenn das bedeute, dass die Abstimmung dann wenig Legitimität habe.

Die Gründe für den Dämpfer sehen Experten unter anderem in der wirtschaftlichen Lage. Die Türkei steckt seit Ende 2018 in der Rezession. Die Inflation liegt bei rund 20 Prozent, vor allem Lebensmittel werden immer teurer. Der politische Analyst Vahap Coskun sagt, die Wähler hätten die Regierung für die schlechte wirtschaftliche Lage „bestraft“. Die Menschen wollten eine Lösung für ihre Probleme.

Mehr als ein Denkzettel ist der Ausgang der Wahl aber erst einmal nicht. Erdogan hat seit dem Übergang in ein Präsidialsystem im Juni so viel Macht wie noch nie. Die nächsten regulären Parlaments- und Präsidentenwahlen sind erst 2023. Die Türkei wird zudem zentral verwaltet, was die Macht der Bürgermeister limitiert.

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