Druck auf Amnesty Erdogan sperrt Menschenrechtler weg

Istanbul · Der türkische Präsident lässt sechs Amnesty-Mitarbeiter verhaften. Darunter ist ein Deutscher. Er soll einen Aufstand geplant haben.

 „Wir werden diesen Verrätern den Kopf abreißen“, drohte Präsident Erdogan – hier vor wenigen Tagen in Ankara – den Putschisten in der Türkei.

„Wir werden diesen Verrätern den Kopf abreißen“, drohte Präsident Erdogan – hier vor wenigen Tagen in Ankara – den Putschisten in der Türkei.

Foto: dpa/Uncredited

Die Prinzeninseln im Marmarameer vor der Küste Istanbuls sind ein angenehmer Rückzugsort von der Millionenmetropole. Dort sind keine Autos erlaubt, es lässt sich in Ruhe arbeiten. In einem Hotel auf Büyükada, der größten der Inseln, kamen kürzlich zehn Menschenrechtler zu einem Treffen zusammen, das Amnesty International als Routine-Workshop beschreibt. Doch am 5. Juli stürmte die türkische Polizei die Versammlung. Gestern verhängte ein Richter in Istanbul nun Untersuchungshaft gegen sechs der Menschenrechtler. Neben Amnesty-Landesdirektorin Idil Eser sind unter den Inhaftierten auch der Deutsche Peter Steudtner und der Schwede Ali Gharavi.

Seit dem Putschversuch in der Türkei vor einem Jahr wurden mehr als 50 000 Menschen in U-Haft gesperrt, die bis zu fünf Jahre dauern kann. Mehr als 150 Journalisten sitzen derzeit im Gefängnis, darunter der deutsch-türkische „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel. Auch die deutsche Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu Corlu ist in U-Haft. Dass nun gleich sechs Menschenrechtler bis zu einem Prozess hinter Gitter sollen, markiert eine neue Stufe im Vorgehen der Türkei gegen angebliche Staatsfeinde.

Vier der auf Büyükada festgenommenen Menschenrechtler wurden bis zum Beginn eines Prozesses auf freien Fuß gesetzt, sie dürfen das Land nicht verlassen und müssen sich dreimal die Woche bei der Polizei melden. Die Haft gegen die anderen sechs begründete das Gericht mit hoher Fluchtgefahr. Die Staatsanwaltschaft wirft allen zehn Beschuldigten vor, eine „bewaffnete Terrororganisation“ zu unterstützen. Um welche Organisation es sich dabei handeln soll, geht aus dem Gerichtsprotokoll nicht hervor.

Amnesty spricht von „bizarren Anschuldigungen“. Im Protokoll des Verhörs von Amnesty-Direktorin Eser geht es unter anderem um ihre zahlreichen Kontakte zu Taner Kilic. Die sind insofern wenig erstaunlich, als dass Kilic der Vorsitzende von Amnesty in der Türkei ist. Allerdings sitzt Kilic seit vergangenem Monat in U-Haft. Ihm werden Verbindungen zur Bewegung des Predigers Fethullah Gülen vorgeworfen, den Präsident Recep Tayyip Erdogan für den Putschversuch vor einem Jahr verantwortlich macht. Die Inhaftierung der sechs Menschenrechtler gestern nannte der Generalsekretär von Amnesty International, Salil Shetty, „eine politisch motivierte Hexenjagd“. Shetty fügte hinzu: „Heute haben wir gelernt, dass es in der Türkei ein Verbrechen geworden ist, sich für Menschenrechte einzusetzen.“

Erdogan rückte die Menschenrechtler dagegen in die Nähe der Putschisten vom 15. Juli 2016. Kurz nach den Festnahmen sagte er beim G20-Gipfel in Hamburg, die Versammlung habe in ihrem Charakter „einer Fortsetzung des 15. Juli“ entsprochen. Das ist ein gefährlicher Vorwurf: Bei den Feierlichkeiten ein Jahr nach der Niederschlagung des Putsches kündigte Erdogan am Wochenende an, Putschisten und anderen Verrätern werde man „die Köpfe abreißen“. Die regierungsnahe Zeitung „Star“ will mit Hilfe des AKP-Abgeordneten Orhan Deligöz sogar eine thrillerähnliche Verschwörung aufgedeckt haben: Im Hotel auf Büyükada hätten seit dem Putschversuch vier Versammlungen stattgefunden – darunter das der „sogenannten Menschenrechtsaktivisten“. Geleitet hätten die Versammlungen Agenten des CIA und MI6. Das Ziel: Ein Aufstand nach Art der Gezi-Proteste 2013.

Der 45-jährige Steudtner – der in Berlin mit Lebensgefährtin Magdalena Freudenschuss und zwei Kindern lebt – soll eigens angereist sein, um einen Aufstand zu planen? „Diese Unterstellungen sind total absurd“, sagte Freudenschuss. Er habe „für Gewaltfreiheit, für den Einsatz von Menschenrechten“ gestanden. Offiziell ging es beim Workshop um Menschenrechtsarbeit unter schwierigen Bedingungen. Auf dem Programm standen Stressbewältigung und Yoga. Den Haftrichter beeindruckte das nicht. Die Türkei hat nun ein zweifelhaftes Alleinstellungsmerkmal: Erstmals in der über 55-jährigen Geschichte von Amensty sind zwei führende Mitarbeiter eines Landes gleichzeitig in Haft.

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