Erdogan-Anhänger machen mobil

Köln · Bis zu 30 000 Deutschtürken wollen am Sonntag für Präsident Erdogan auf die Straße gehen. Woher kommt diese Begeisterung bei Menschen, die schon in zweiter und dritter Generation in Deutschland leben?

"Irrsinn", "Skandal", "Missbrauch" - so wettern Kölner Leserbriefschreiber seit Tagen gegen die für Sonntag geplante Pro-Erdogan-Demonstration. Bis zu 30 000 Teilnehmer könnten dafür auf die Straße gehen. Warum verspüren Menschen, die schon in zweiter oder dritter Generation in Deutschland leben, ausgerechnet jetzt das Bedürfnis, ihre Unterstützung für den umstrittenen Recep Tayyip Erdogan zu bekunden? Bülent Bilgi, Generalsekretär der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), die die Demo nach eigenen Angaben mitorganisiert, sagt dazu: Es gehe letztlich gar nicht um Erdogan. Thema der Kundgebung sei der vereitelte Militärputsch. Viele Migranten seien verärgert darüber, wie die deutschen Medien darüber berichteten. "Man sagt, ok, es gab einen Putsch, es sind 264 Menschen gestorben, aber das wischt man sofort beiseite und tut so, als wäre das eine Nebensächlichkeit." Stattdessen gehe es immer nur um Erdogans Gegenmaßnahmen. Ludwig Schulz, Türkeiforscher am Deutschen Orient-Institut Berlin, bestätigt, dass viele Deutschtürken die Vereitelung des Putsches vor allem als Erfolg der türkischen Gesellschaft sähen. Die Begeisterung für Erdogan habe viele Gründe: Viele Türkischstämmige informierten sich überwiegend aus regierungstreuen türkischen Medien. Dazu kämen türkischer Nationalstolz und ein Gefühl von Ablehnung durch die deutsche Mehrheitsgesellschaft.

"Es ist wohl eine Mischung aus berechtigter Kritik an unserem einseitigen Türkeibild und einer umgekehrt geschönten Sicht vieler Türkischstämmiger auf die Türkei", sagt Schulz. Dabei seien jedoch lang nicht alle Deutschtürken Erdogan-Anhänger, erläutert der Türkei-Experte Roy Karadag von der Uni Bremen. "Unter den Deutschtürken gibt es zunehmend Konflikte darüber, wer hier eigentlich in ihrem Namen sprechen, agieren und mobilisieren kann", sagt der Politikwissenschaftler. 2013 seien zum ersten Mal Deutschtürken nach Istanbul geflogen, um dort gegen die Regierung Erdogan zu protestieren. "Deswegen demonstriert die UETD jetzt in Köln - sie will zeigen, dass die meisten Deutschtürken für Erdogan sind."

Der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde, Gökay Sofuoglu, beschreibt die Stimmung als sehr angespannt. Es gehe ein Riss durch die türkische Gesellschaft. "Es werden Freundschaften aufgekündigt. Und auch innerhalb von Familien gibt es Probleme", sagt Sofuoglu. Der Wunsch der Türkei, in Deutschland lebende Anhänger der Gülen-Bewegung auszuliefern stößt derweil weiter auf Befremden. Auf einen Brief des Generalkonsuls Ahmet Akinti mit entsprechender Bitte antwortete der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann anders als erhofft. "Das hat mich in höchstem Maße befremdet. Genau das werden wir natürlich nicht machen", stellte der Grünen-Politiker klar. Zwar sei bekannt, dass es an der Gülen-Bewegung Kritik gebe. Aber: "Hier sollen Leute auf irgendeinen Verdacht hin grundlos verfolgt oder diskriminiert werden." Erdogan macht den Prediger Gülen für den Putschversuch verantwortlich.

Meinung:

Bei der Justiz ist Schluss

Von SZ-Korrespondent Werner Kolhoff

Auf einer Ebene muss die Zusammenarbeit mit der Türkei sofort und komplett enden: im Justizwesen. Der lange Arm von Erdogan darf nicht bis in deutsche Gerichtssäle reichen. Denn seit im türkischen Justizapparat eine Grundsäuberung erfolgt, ist er das gleichgeschaltete, willfährige Instrument des Regimes geworden. Also auch jedes Auslieferungsersuchen, das nun von dort kommt, jeder angebliche Beweis, der nach Deutschland geschickt wird, um hier AKP-Kritiker und Kurden zu verfolgen. Kein Rechtsstaat, keine Auslieferung, das muss in Deutschland die Gleichung sein und bleiben.

Zum Thema:

Hintergrund Die Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) unterstützt die türkische Regierungspartei AKP. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan gehörte 2001 zu den Mitbegründern der islamisch-konservativen AKP und führte diese später von Wahlsieg zu Wahlsieg. Die 2004 gegründete UETD hat zahlreiche Niederlassungen in Deutschland und in anderen Ländern. Die Deutschland- und Europa-Zentrale des Verbandes sitzt in Köln . Die UETD gilt als verlängerter Arm der AKP in Deutschland und wurde zu deren Unterstützung aufgebaut. Sie ist gut organisiert und soll sehr finanzkräftig sein. Der Verband tritt für die Belange der in Deutschland lebenden Türken ein. dpa

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