Eon bringt frischen Wind in sein Geschäft
Mehr als drei Jahre Kampf gegen bröckelnde Gewinne waren Eon-Konzernchef Johannes Teyssen genug. Er hat Randgeschäfte für Milliardenerlöse verkauft, in Schwellenländer investiert, hart am Personal gespart und die eigene Gasförderung ausgebaut - alles ohne wirklich durchgreifenden Erfolg.
Jetzt wagt der 55-Jährige den radikalen Schritt. Eon lagert fast das gesamte Geschäft mit der Erzeugung von Energie - Atom, Gas und Kohle - in eine neue Gesellschaft aus.
In einer Aufsichtsratssitzung hatten die Manager und Aufseher des Unternehmens am Sonntagabend beschlossen, die Reißleine zu ziehen. Der drückende Schuldenberg von 31 Milliarden Euro, den das Unternehmen während der Zeit von Teyssen-Vorgänger Wulf Bernotat durch einen scharfen Expansionskurs angehäuft hatte und seitdem mit sich schleppt, sowie die Energiewende, ausgelöst und beschleunigt durch den Reaktorunfall im japanischen Fukushima im März 2011, zwingen den Konzern zur Radikalkur. Hinzu kommt, dass das klassische Stromgeschäft wegen des wachsenden Anteils von Energie aus Wind und Sonne immer weniger Geld abwirft und viele Kraftwerke nur noch Verluste produzieren.
Was jetzt beschlossen wurde, ist eine Revolution für Eon und die gesamte Branche. Deutschlands größter Energieversorger kappt praktisch die eigenen Wurzeln - und besiegelt das Ende des klassischen Versorgers, der von der Rohstoff-Förderung über die Stromproduktion und den Transport bis zum Vertrieb alles abdeckte. "Das gesamte Geschäft wurde von den großen Produktionsanlagen her gedacht und gesteuert", sagte Teyssen gestern. "Das ist die uns allen vertraute, 100 Jahre alte Energiewelt der großen Anlagen, Handels- und Absatzmengen." In dieser Welt soll künftig aber nur noch ein neuer Eon-Ableger zu Hause sein. Die Gesellschaft mit rund 20 000 Beschäftigten soll ihren Sitz in der Region Rhein-Ruhr haben. Der Konzern selbst will sich - mit rund 40 000 Mitarbeitern - dagegen nur noch um die neue Welt kümmern. In dieser geht es um eher kleinteilige, dezentrale Gewinnung von Energie aus Ökostromanlagen. Netze bringen darin nicht nur den Strom, sie holen ihn auch beim Sonnen-, Wind- und Biogasproduzenten ab. Das bringt ganz neue Anforderungen an eine intelligente Nutzung von Netzen, die Speicherung von Strom und die Steuerung des Verbrauchs.
Schon 2015 steckt Eon mehr Geld in Wind- und Sonnenenergie. Die Netze, die bisher als Brot- und Buttergeschäft galten, werden für Teyssen zur entscheidenden Drehscheibe. Und da will der Konzern künftig ganz vorn mitspielen - Klassenbester werden, wie Teyssen es nennt. "Die neue Energiewelt steckt noch in den Kinderschuhen, wird aber nach unserer Überzeugung schneller wachsen als die klassische." Dabei seien Schnelligkeit und Innovation gefragt. Wer mitmachen will, der brauche eine ganz andere Kultur als im auf jahrzehntelange Zyklen angelegten klassischen Erzeugungsgeschäft.
Keine Auswirkungen soll die Neuausrichtung nach den Plänen des Vorstands auf die Mitarbeiter haben, die in den vergangenen Jahren ohnehin schon durch ein Tal der Tränen gingen. Mehr als 10 000 Stellen weltweit fielen einem Sparprogramm zum Opfer, davon mehr als 6000 in Deutschland. Doch die neue Strategie soll nach dem Willen von Teyssen mithelfen, Jobs zu sichern. Der Umbau sei kein Programm "zum Abbau von Arbeitsplätzen", beteuerte der Manager. Aufsichtsratschef Werner Wenning , der sich mit Abspaltungen als ehemaliger Vorstandsvorsitzender des Bayer-Konzerns bestens auskennt, war zufrieden mit dem nun eingeschlagenen Kurs: Mitarbeiter und Investoren "erhalten so eine klare Perspektive in starken und zukunftsfähigen Unternehmen". Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD ) zeigte sich überzeugt, "dass die Arbeitsplätze in beiden Unternehmen gesichert bleiben".
Für Konzernchef Teyssen, dessen Vertrag erst im vergangenen Jahr um fünf weitere Jahre bis 2018 verlängert worden war, beginnen nun die Umbauarbeiten, die bis 2016 beendet sein sollen. Das wird kein Zuckerschlecken. Die hohe Schuldenlast wird sich nicht auf einen Schlag verringern, auch wenn jetzt die Aktivitäten des Unternehmens in Spanien an den australischen Investor Macquarie zu einem Preis von 2,5 Milliarden Euro veräußert wurden. Eon steht vor einer längeren Durststrecke.