Entscheidung beim Mittagessen

Rom. Es ist fast schon Mitternacht und in der Nähe des vatikanischen Gästehauses Domus Sanctae Marthae hört man Rollkoffer über das Pflaster rattern. Die Kardinäle haben ihre Pflicht getan, sie haben im Konklave Kardinal Jorge Mario Bergoglio zu Papst Franziskus I. gewählt und dürfen schon nach zwei Tagen wieder nach Hause

Rom. Es ist fast schon Mitternacht und in der Nähe des vatikanischen Gästehauses Domus Sanctae Marthae hört man Rollkoffer über das Pflaster rattern. Die Kardinäle haben ihre Pflicht getan, sie haben im Konklave Kardinal Jorge Mario Bergoglio zu Papst Franziskus I. gewählt und dürfen schon nach zwei Tagen wieder nach Hause. "Das hätte ich nie gedacht", sagt der Mainzer Kardinal Karl Lehmann nach der Wahl, an der er selbst teilgenommen hat. Auch der wahlberechtigte Kölner Kardinal Joachim Meisner gesteht: "An Bergoglio habe ich nicht gedacht."

Es deutet einiges darauf hin, dass die deutschen Kardinäle ebenso ungläubig reagierten wie viele Menschen, als der Name Bergoglios erstmals bei den Beratungen fiel. Man kannte den Erzbischof von Buenos Aires, weil er beim Konklave 2005 der schärfste Rivale Joseph Ratzingers war und dann zu dessen Gunsten zurücksteckte. Nach dem ersten Wahlgang am Dienstagabend gab es erste Anzeichen dafür, dass Bergoglio wieder stark abschneiden würde. Am selben Abend sei er "mit den Insidern" ins Gespräch gekommen, berichtet Meisner. Darunter fällt zum Beispiel der beliebte und einflussreiche Kardinal Oscar Rodriguez Maradiaga aus Honduras, der offenbar die Kandidatur Bergoglios stark angeschoben hat.

Teilnehmer des Konklave sind zur Verschwiegenheit verpflichtet, aber nach ihren vagen Beschreibungen ist leicht auf den Verlauf zu schließen: Nicht die angeblichen Favoriten wie der Italiener Angelo Scola oder der Deutsch-Brasilianer Odilo Pedro Scherer gingen aus dem ersten Wahlgang gestärkt hervor. Eine ganze Masse aus Kandidaten bekommt Stimmen, unter ihnen sticht ein alter Bekannter heraus, nämlich Bergoglio. Er startet mit einem soliden Fundament in den zweiten Tag des Konklave. Deshalb denkt Kardinal Lehmann am Mittwochmorgen: "Wenn wir Glück haben, haben wir abends einen Papst."

Mehrere Faktoren kommen nun zusammen. Zum einen ist die Gruppe der 28 italienischen Kardinäle gespalten, sie hat keinen gemeinsamen Kandidaten, aber die Stimmen der Italiener sind zum Erreichen der 2/3-Mehrheit von 77 der 115 Stimmen nicht unerheblich. Vor allem der der Kurie nahestehende Flügel um den ehemaligen Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone blockiert Scola, auch viele andere haben Bedenken, die sich etwa in der Nähe Scolas zur konservativen Laienbewegung Communione e Liberazione und damit Teilen der italienischen Politik begründen.

Der zweite Faktor ist: Nach den extrovertierten Auftritten vieler US-Kardinäle während des Vorkonklave suchen nicht wenige Kollegen eine unaufgeregte Lösung. Statt in die Richtung eines Kandidaten aus den in weiten Teilen der Welt als Imperialmacht verschrienen USA geht der Blick nach Südamerika. Spanisch ist die meistgesprochene Sprache im Katholizismus, mehr als die Hälfte aller Katholiken leben auf der Südhalbkugel. So steigen die Chancen des Kandidaten, der während des Vorkonklave wegen seiner Ruhe, Autorität und Besonnenheit beeindruckte. Lehmann sitzt im Konklave nur zwei Plätze neben ihm und ist erstaunt "mit welcher Ruhe er das alles hingenommen hat".

Nach den ersten beiden Wahlgängen am Mittwochvormittag wendet sich das Blatt, so schreiben italienische Zeitungen. Bergoglio hat im insgesamt zweiten und dritten Wahlgang noch keinen durchschlagenden Erfolg. Das karge Mittagessen im Gästehaus dient dazu, einige Fragen zu klären und dem Verlauf des Konklave den entscheidenden Schub zu geben. Ist der 76 Jahre alte Bergoglio gesund? Wäre er bereit für die Wahl? Die Sondierungen haben einen positiven Ausgang. Weil Bertone merkt, dass seine Kurienmänner gegen die Opposition der Europäer und US-Kardinäle keine Chancen haben, schwenken er und der einflussreiche Giovanni Battista Re auf Bergoglio um. Das berichtet die Zeitung "La Stampa".

Der Argentinier hat also auch rasch Anklang gefunden bei denen, die ihn nicht auf der Rechnung hatten. Sein Alter lässt kein langes Pontifikat erwarten, auch das brachte raschen Konsens. Zudem ist sein Verhältnis zur Kurie konfliktfrei. Der Jesuit ist weder ein Feind noch ein Freund der Kurie. Er hat aber Durchsetzungsfähigkeit, um wichtige Entscheidungen zu fällen.

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