Entgleistes Vorhaben

Paris. Frankreichs konservative Regierung hat die von ihr im November angestoßene Debatte über die nationale Identität gestern mit einem Regierungsseminar und mehreren Vorschlägen für Maßnahmen beendet

Paris. Frankreichs konservative Regierung hat die von ihr im November angestoßene Debatte über die nationale Identität gestern mit einem Regierungsseminar und mehreren Vorschlägen für Maßnahmen beendet. Die Veranstaltung wirkte wie das Eingeständnis, dass das Vorhaben gescheitert ist, da eigentlich ein Kolloquium mit Staatspräsident Nicolas Sarkozy letzten Donnerstag als krönender Abschluss hätte stattfinden sollen. Der Termin war jedoch abgesagt worden.

Sarkozy hatte die öffentliche Diskussion über die nationale Identität aus wahltaktischen Gründen angeschoben, um so Themen der rechtsextremen Front National (FN) zu besetzen. Doch das könnte sich bei den Regionalwahlen Ende März als Bumerang für die konservative Regierungspartei UMP erweisen. Denn die von dem Schweizer Minarett-Verbot und der Diskussion über ein Burka-Verbot überschattete Debatte war der Regierung entglitten. Schon nach kurzer Zeit hatten Zensoren auf der eigens eingerichteten Internetseite debatidentitenationale.fr fremdenfeindliche Beiträge löschen müssen. Umfragen zufolge dürfte die Debatte der FN mehr genützt als geschadet haben: Immerhin neun Prozent der Franzosen wollen am 21. März für sie stimmen. Der UMP dagegen droht der Verlust der zwei einzigen von ihr regierten Regionen. Selbst Einwanderungsminister Eric Besson, der die Debatte leitete, hatte eingestanden, dass sie nicht sehr konstruktiv war.

Die 350 von den Präfekten zu dem Thema organisierten öffentlichen Debatten und die 58 000 Beiträge auf der Internetseite debatidentitenationale.fr hatten zu einer weiteren Stigmatisierung der schätzungsweise fünf bis sechs Millionen in Frankreich lebenden Muslime geführt. Premierminister François Fillon versuchte, das Gesicht der Regierung zu wahren, indem er ein paar - eher symbolische - Maßnahmen zur Stärkung des "nationalen Pakts" verkündete. So sollen künftig in allen Schulklassen die Menschen- und Bürgerrechte ausgehängt werden und Schulkinder ein Handbuch der Bürgerrechte und -pflichten erhalten.

Die Opposition verurteilte das Regierungsseminar als Versuch, von den wahren Problemen der Franzosen abzulenken. "Wie zufällig hat man die Ankündigung von Streichungen im öffentlichen Dienst und Entscheidungen über die Renten auf die Zeit nach den Regionalwahlen verschoben", kritisierte Sozialisten-Sprecher Benoît Hamon.

Meinung

Begräbnis zweiter Klasse

Von SZ-Mitarbeiterin

Gesche Wüpper

Das Kalkül von Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy, mit rechten Themen Wähler für die Regionalwahlen Ende März zu ködern, scheint gründlich schief gegangen zu sein. Die Debatte über die nationale Identität ist der Regierung entglitten und hat Frankreich gespalten. Das Regierungsseminar am Montag war ein Begräbnis zweiter Klasse. Gleich acht Mitglieder der Regierung blieben fern, offiziell aus Termingründen. Doch ihr Fehlen zeigt, in welche Verlegenheit die Debatte die Regierung gebracht hat. Statt ein paar Pseudo-Maßnahmen zu verkünden, hätte sie gut daran getan, das Scheitern der Diskussion einzugestehen und sie offiziell ein für alle mal zu beenden. Das Insistieren von Einwanderungsminister Eric Besson, die Debatte werde weitergehen, wirkte so nur wie ein peinlicher Versuch, den Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen.

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