Energiewende mit bürgerlichem Aufwind Wettlauf auf hoher See
Berlin. Rolf Hempelmann erzählt von seiner Kindheit im Ruhrgebiet, als die Wäsche auf der Leine schnell rußig wurde. "Die Luft war eher zum Schneiden, denn zum Atmen", so der Energieexperte der SPD-Fraktion. "Aber man hat das hingenommen, weil es auch etwas zurückgab", sagt der 62-Jährige mit Blick auf die Jobs in den Zechen
Berlin. Rolf Hempelmann erzählt von seiner Kindheit im Ruhrgebiet, als die Wäsche auf der Leine schnell rußig wurde. "Die Luft war eher zum Schneiden, denn zum Atmen", so der Energieexperte der SPD-Fraktion. "Aber man hat das hingenommen, weil es auch etwas zurückgab", sagt der 62-Jährige mit Blick auf die Jobs in den Zechen. Ähnlich sei es mit der Energiewende, der Nutzen müsse klar werden. Nur ein Parteienkonsens könne die Bürger vom Mitmachen überzeugen, statt gegen Stromtrassen und Speicherkraftwerke zu demonstrieren. "Wenn wir mit einer Stimme sprechen in den zentralen energiepolitischen Fragen, dann sehe ich große Chancen, die Bevölkerung zu überzeugen, dass sie auch vor der eigenen Haustür die notwendigen Infrastrukturmaßnahmen akzeptiert", so Hempelmann. Der energiepolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Thomas Bareiß (CDU) ist auf einer Linie mit ihm, denn mit dem Hammer gehe es nicht: "Die Akzeptanz vor Ort lässt sich nicht über Gesetze oder Verordnungen regeln." Die Energiewende werde aber eine "ganz teure Veranstaltung".Letztlich hängt viel davon ab, wie die Bürger vor Ort mitgenommen werden. Der Energiekonzern EnBW, dem durch die Mehrheitsbeteiligung Baden-Württembergs nach dem grünen Machtwechsel eine Abkehr von der bisherigen Atomausrichtung bevorsteht, hat da schon Erfahrungen gemacht - positive wie eher negative.
In Forbach im Nordschwarzwald soll das bestehende Rudolf-Fettweis-Werk mittels neuer Wasserbecken zu einem großen Stromspeicher ausgebaut werden. Bei zu viel Wind- und Sonnenstrom wird dieser über Pumpen in höhere Ebenen gepumpt, bei zu wenig Strom im Netz schießt das Wasser vom Schwarzenbachstausee 360 Meter nach unten, treibt stromerzeugende Turbinen an und landet in einem Ausgleichsbecken. Manfred Haberzettel, Leiter Technik und Politik bei EnBW sagt, dass 250 Millionen Euro investiert werden sollen, von 2014 bis 2019 soll das Ganze entstehen.
Anders als beim größten Projekt in diesem Bereich, dem rund eine Milliarde teuren Pumpspeicherwerk Atdorf im Südschwarzwald, gibt es in Forbach überwiegend Zustimmung. Von Beginn an wurden Umweltverbände, Öffentlichkeit und Behörden eingebunden, zudem wird nur ein bestehendes Werk ausgebaut, so Haberzettel. In Atdorf, wo es in schönster Natur einen Flächenbedarf von mehr als 200 Fußballfeldern für das Wasserbecken gibt, wurden die Pläne zunächst von Medien aufgedeckt. Der Vorstand der zuständigen Schluchseewerk AG (Eigentümer: EnBW und RWE), Stefan Vogt, betont, dass sich bei solchen Projekten generell ein "Zielkonflikt" ergebe, zwischen globalem Nutzen und örtlichen Lasten. Er hofft auch auf Hilfe von Parteien wie den Grünen, die im Bund eher für das Projekt sind, vor Ort aber dagegen. Vogt macht aber klar, dass die Politik auch bessere Rahmenbedingungen schaffen müsse. Bisher sind nur Pumpspeicherwerke für 20 Jahre von Netznutzungsentgelten befreit, wenn ein Werk vor dem 31. Dezember 2019 ans Netz geht. Diese Barriere müsse fallen, auch wegen Verzögerungen durch Bürgerwiderstände.
Einig ist man sich in der Berliner Politik, dass nicht der Ausbau von Wind- oder Sonnenstrom das Problem ist, sondern die fehlende Infrastruktur, vor allem Stromtrassen und Speicher fehlen. Und hier müsse etwa durch gebündelte Genehmigungs- und Planungsverfahren das Tempo massiv erhöht werden. Bareiß warnt jedoch vor einem Rennen, wer am schnellsten aussteigt. "Wir leben nicht in einem Versuchslabor, sondern sind das führende Industrieland in Europa."
Immerhin sind die Bürger einer neuen Umfrage zufolge bereit, mehr Opfer zu bringen. Das Meinungsforschungsinstitut You Gov ermittelte, dass 64 Prozent der Deutschen noch vor 2020 ganz aus der Atomkraft aussteigen wollen - 66 Prozent würden es hinnehmen, dass nahe der eigenen vier Wände eine Stromautobahn errichtet wird. Bis zu 3600 Kilometer neuer Höchstspannungsleitungen sind bis 2020 nötig, um etwa Windstrom von der See in den Süden zu schaffen. Und etwa jeder Zweite würde pro Jahr bis zu 40 Euro mehr für Strom bezahlen, wenn die Meiler rascher abgeschaltet werden. Das Einzige, was für rund 70 Prozent für einen schnelleren Ausstieg nicht in Frage kommt: Atomstromimporte aus dem Ausland als Ersatz.Borkum/Wilhelmshaven. Das Rennen um den Ausbau der Windkraft geht weiter. Vor fast genau einem Jahr gab Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) per Knopfdruck das Startsignal für das Offshore-Testgebiet "alpha ventus" mit zwölf Windrädern in der Nordsee. Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister und EU-Energiekommissar Günther Oettinger (beide CDU) zogen gestern nach: Sie flogen zu Deutschlands erstem kommerziellen Nordsee-Windpark "Bard Offshore 1" und setzten drei weitere riesige Rotoren in Gang. Nordwestlich von Borkum sind immerhin schon 17 von insgesamt 80 geplanten Anlagen in Betrieb. Die Bundeskanzlerin will im Wettbewerb der Windpark-Einweihungen nicht nachstehen. Schon im Mai hat Angela Merkel (CDU) einen Termin beim Projekt "Baltic 1" in der Ostsee. Das umfasst zwar nur 21 Windräder, liegt aber quasi vor ihrer Haustür, dicht vor der mecklenburgischen Küste. Nach der Reaktorkatastrophe in Japan und den Niederlagen von Union und FDP bei den Landtagswahlen sind jetzt zügig positive Schlagzeilen in der Energie-Debatte gefragt.
Die Windkraftbranche sieht gute Chancen, die Atomenergie in Deutschland überflüssig zu machen. Beim Ausbau der erneuerbaren Energien kann es vielen Politikern gar nicht flott genug gehen. Die fünf norddeutschen Bundesländer drücken aufs Tempo - und mahnen Förderprogramme beim Bund für Offshore-Windkraftanlagen an. Ihre Sorge: Der Netzausbau für den Transport des Ökostroms könnte den ambitionierten Plänen hinterherhinken.
Die Windkraft wird sich - so die Hoffnung des niedersächsischen Ministerpräsidenten David McAllister - als "Jahrhundert-Chance für die Nordseeküste" erweisen. Er legte der Kanzlerin gleich neun Forderungen auf den Tisch. Beim Ausbau der Stromnetze will er - mit Blick auf die Bürgerproteste um das Bahnprojekt "Stuttgart 21" - die Anwohner frühzeitig an den Trassenplanungen beteiligen.
Die Euphorie um die Windkraft scheint vielen jedoch übertrieben. Bis 2020 sollen sich vor den Küsten 2000 Windräder drehen, bis zum Jahr 2030 sollen 25 000 Megawatt aus Meeres-Windstrom kommen. Die Branche jongliert mit Leistungsangaben, die zunächst aber nur auf dem Papier stehen: Bei Flaute und Sturm dreht sich kein Windrad. Der fehlende Strom muss von herkömmlichen Kraftwerken an Land kommen. Die Speicherprobleme sind auch noch ungelöst.
In Ostfriesland und anderen Regionen wehren sich Kommunen gegen die zunehmende "Verspargelung" der Landschaft. Umweltschützer mahnen für die zahllosen Nordsee-Windparkprojekte umfassende Raumplanung an. Zudem halten sie die Risiken für die Meeresumwelt für zu wenig erforscht. Experten empfehlen eine Schalldämmung bei den Rammarbeiten, um Meeressäuger wie Schweinswale nicht zu vergraulen. Kaum Erfahrung gibt es zudem bei Kollisionen von Zugvögeln mit Windrädern. Ein Ende des Widerspruchs von Ökologie und Ökonomie ist auch auf dem Meer vorerst nicht in Sicht.
Meinung
Alles hat
seinen Preis
Von SZ-RedakteurLothar Warscheid
Aller Anfang ist schwer. Das gilt auch für Windkraft-Anlagen auf hoher See. Ihnen soll bei der Grundversorgung mit Strom die Zukunft gehören. Doch noch sind nicht alle technischen Probleme gelöst. Die Bedingungen in der Nordsee sind rau. An die Verankerung auf dem Meeresboden und an die Windmühlen selbst werden höchste Anforderungen gestellt. Außerdem müssen Investoren und Banken gewonnen werden, die solche Projekte finanzieren. Diese ziehen Großbritannien und Dänemark vor, wo die Offshore-Anlagen näher an der Küste stehen. Die Deutschen hingegen wollen sich ihren Meerblick nicht verschandeln lassen. Doch je weiter die Windmühlen von der Küste entfernt sind, desto tiefer ist das Wasser und umso teurer werden die Windparks. Alles hat seinen Preis.
Hintergrund
Das von der Bundesregierung berufene Expertengremium für Umwelt und Entwicklung hält einen Atomausstieg international auch ohne Abstriche beim Klimaschutz für machbar. "Anspruchsvoller Klimaschutz ist auch ohne Kernenergie möglich", heißt es in dem gestern in Berlin veröffentlichten Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Globale Umweltveränderungen (WBGU). Erforderlich seien dafür allerdings massive Investitionen in eine Energiewende, Änderungen im Konsumverhalten der Menschen weltweit und globale Abgaben auf das klimaschädliche Kohlendioxid (CO2). afp