Endstation Saarbrücken

Forbach/Saarbrücken · Syrer und Eritreer suchen verstärkt in Deutschland Zuflucht vor Bürgerkrieg und Diktatoren. Das ist auch in den Zügen aus Paris spürbar. Dort hat sich die Flüchtlingszahl verfünffacht. Die Bundespolizei ist überfordert.

 Das „Haus Sonnenwald“ in Merzig-Besseringen war früher ein Erholungsheim. Heute werden hier Flüchtlinge untergebracht. Foto: VdK

Das „Haus Sonnenwald“ in Merzig-Besseringen war früher ein Erholungsheim. Heute werden hier Flüchtlinge untergebracht. Foto: VdK

Foto: VdK

Die Atmosphäre im ICE von Paris ist für ein paar Minuten angespannt: Ein junger Eritreer hat sich auf der Toilette eingeschlossen, um der Polizeikontrolle auf französischer Seite zu entgehen. Doch nachdem der Zug Forbach , den letzten Bahnhof vor der deutschen Grenze, verlassen hat, kommt er schwitzend heraus und wird von deutschen und französischen Beamten in Empfang genommen. Zwei andere Eritreer warten schon entspannt wirkend im Gang. Acht ihrer Landsleute hat die französische Polizei bereits während des kurzen Halts in Forbach aus dem Zug geholt.

Seit mehr als zehn Jahren kontrollieren Deutsche und Franzosen gemeinsam die ICE- und TGV-Züge von Paris über Saarbrücken nach Frankfurt. Schwerpunkt im Auftrag der Innenminister: Illegales Einwandern verhindern. Seit einigen Monaten ist die Zahl derer, die das versuchen, stark gestiegen. Griff die Bundespolizei im Saarland zur ersten Jahreshälfte 2013 noch 192 Flüchtlinge in Zügen und am Saarbrücker Bahnhof auf, waren es bis Juli dieses Jahres bereits 1017. Darunter auch zunehmend alleinreisende Minderjährige: Bis Juni 2014 waren es schon 192 unbegleitete Jugendliche. Im Vergleich: 2013 waren es zum selben Zeitpunkt 68.

Die Flüchtlingswelle bringt die Bundespolizei an ihre Grenzen: "Wir verwalten nur noch und sind weder in der Lage, ausreichend in Zügen, Bussen und Lkw zu kontrollieren, noch gegen die Hintermänner der Schleuser zu ermitteln", warnt Roland Voss von der Gewerkschaft der Polizei . Dem 47-Jährigen zufolge fehlen Beamte, um ihre Aufgabe zufriedenstellend zu erfüllen.

Die wachsende Flüchtlingszahl beunruhigt auch die Landesregierung: Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer bat Kanzlerin Angela Merkel (beide CDU ) jüngst, bei der französischen Regierung auf eine Lösung zu drängen. Kramp-Karrenbauer forderte, die Kontrollen vor Grenzübertritt sowie die Bekämpfung der Schleusungskriminalität zu verstärken, sagte die Staatskanzlei auf SZ-Anfrage.

"Wir brauchen nicht noch mehr Polizei im Einsatz gegen Flüchtlinge , sondern eine andere, humane Aufnahmepolitik", kritisierte dagegen Roland Röder vom Saarländischen Flüchtlingsrat die Saar-Regierungschefin. Es gebe derzeit "faktisch keinen legalen Weg nach Deutschland zu kommen". Das sei das größte Problem - und das müsse Merkel ändern.

Aber warum stranden immer mehr Flüchtlinge per Zug im Saarland? Für Bundespolizist Voss ist die EU-Flüchtlingspolitik Schuld: "Italien und Frankreich sind mit dem Flüchtlings-ansturm überfordert. Eigentlich ist rechtlich klar das Land für die Asylsuchenden zuständig, über das Flüchtlinge nach Europa einreisen. Statt Asylsuchende aber behördlich zu betreuen, lassen sie italienische und französische Polizei ungehindert nach Deutschland weiterfahren." Grenzkontrollen fänden in Frankreich unzureichend statt. Hinzu kommt: Die Schlepperbanden haben ihre Taktik verändert, seit Italien gezielt afrikanische Flüchtlinge im Mittelmeer aufgreift (Operation: "Mare Nostrum"). "Die Schleuser rechnen damit, dass die italienische Marine die Menschen bereits 30 bis 40 Seemeilen vor der libyschen Küste rettet, und setzen immer schlechtere Boote ein", so Voss.

Etwa 4000 Euro zahle jeder Ankömmling für das Schleusen nach Europa, haben die Beamten festgestellt. Für eine "Garantieschleusung" in ein Land der Wahl wären 20 000 Euro fällig. Wie viel die drei Eritreer aus dem 9-Uhr-Zug gezahlt haben, ist unklar. Sicher ist nur: Für sie ist Saarbrücken erstmal die Endstation. Vier deutsche und zwei französische Polizisten bringen sie zur Wache. Die Gefahr, dass einer türmt, scheint gering. "Die Flüchtlinge kennen meistens genau das Prozedere", sagt Polizeioberkommissar Dieter Schwan von der Bundespolizei . Nach Aufnahme von Personalien, Fingerabdrücken und einer Vernehmung können sie Asyl beantragen. Nur die wenigsten verzichten darauf.

Ghebre Isaak ist schon einen Schritt weiter, sein Asylantrag ist genehmigt. Der 27-Jährige kam im November mit dem Zug. Sein Fluchtweg ist typisch: Von Eritrea nach Sudan, von dort durch die Wüste nach Libyen und in einem maroden Boot aufs Mittelmeer Richtung Sizilien. "Die italienische Marine hat mich auf halbem Weg gerettet, mein Freund ist ertrunken, als das Boot kenterte", erzählt Isaak im Diakonischen Zentrum in Saarbrücken. In Italien suchte er die beste Route nach Deutschland und kaufte sich eine Zugfahrkarte erst nach Paris und dann weiter nach Saarbrücken: "Bei Polizeikontrollen im Zug haben wir uns versteckt. Hinter der deutsch-französischen Grenze war das nicht mehr nötig. Da waren wir ja in Sicherheit." Der Ex-Versicherungsmitarbeiter wartet jetzt auf seinen Deutschkurs, damit er arbeiten und sich eine neue Existenz aufbauen kann.

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HintergrundIn Deutschland ist die Zahl der Asylanträge sprunghaft gestiegen - von 77 651 (2012) auf 127 023 (2013). Zwischen Januar und April 2014 waren es bereits 50 000. Meist stellen sie Menschen aus Syrien, Serbien, Eritrea und dem Irak. Der "Königsteiner Schlüssel" regelt dabei, wie viele Asylbewerber ein Bundesland aufnehmen muss. Der Schlüssel richtet sich nach Steuereinnahmen und Bevölkerungszahl. Das Steueraufkommen wird mit zwei Dritteln, die Bevölkerungszahl mit einem Drittel gewichtet. Die meisten Bewerber müssen NRW (21,2 Prozent) und Bayern (15,2) aufnehmen. Die wenigsten das Saarland (1,2) und Bremen (0,9). dpa

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