Endspiel für den „Moralapostel“

Wenn sich einhundert Journalisten einfinden, um einen leeren Gerichtssaal zu besichtigen wie am Freitag in Münchener Justizpalast, dann muss schon etwas Besonderes im Gange sein. Und in der Tat: Heute um 09.

30 Uhr startet hier der Strafprozess gegen eine Ikone des deutschen Fußballs. Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen, denn ob Uli Hoeneß (62) ins Gefängnis muss oder nicht ist eine Frage allerhöchster Emotionalität in der Fußballrepublik. Einige eingefleischte Bayern-Fans halten es gar für eine "Sauerei", dass der Bayern-Boss überhaupt vor Gericht gestellt wird. Das, schreibt einer im Internet, sei nur der "Profilierungssucht des Staatsanwalts" zuzuschreiben. "Hoeneß in den Knast", sangen aber auch schon mal "Bayern"-Hasser über den gefallenen "Moralapostel" des Profisports. Nicht ausgeschlossen, dass die Polizei heute beide Seiten vor dem Gerichtsgebäude voneinander trennen muss. "Wir sind auf alles vorbereitet", sagt Gerichtssprecherin Andrea Titz.

Alle werden ganz genau hinsehen, was die Justiz mit Uli Hoeneß anstellt. Die einen, weil sie das ganze Verfahren mehr oder weniger für eine Ungerechtigkeit gegenüber dem Beinahe-Denkmal halten, die anderen, weil sie den Promi nicht anders behandelt wissen wollen als jeden x-beliebigen anderen Steuerhinterzieher.

Für Letzteres scheint der Vorsitzende der Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht München II, Rupert Heindl, beste Voraussetzungen mitzubringen. Dem 47-Jährigen wird nachgesagt, alle Angeklagten gleich zu behandeln - und zwar gleich streng. Nicht gut für den Angeklagten: Heindl lehnt "Deals" hinter verschlossenen Türen ab.

Worum geht es überhaupt? In einem "Zeit"-Interview outete sich Hoeneß als Börsenzocker an der Grenze zur Spielsucht. In der Schweiz unterhielt der Bayern-Boss ein Konto, von dem er Millionen herumgeschoben haben soll. Zwischen 2003 und 2009 soll er nach übereinstimmenden Medienangaben dem deutschen Fiskus etwa 3,5 Millionen Euro an Steuern vorenthalten haben. Juristisch wäre das als Steuerhinterziehung in sieben Fällen einzuordnen - auch nicht gerade vorteilhaft für den Angeklagten.

Ein Damoklesschwert haben die Richter des Bundesgerichtshofs (BGH) über dem Fußballboss aufgehängt. Nach BGH-Rechtsprechung kann eine Strafe wegen Steuerhinterziehung nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn mehr als eine Million Euro dem Fiskus vorenthalten wurden. Da liegt Hoeneß nach allem was man weiß, um das Mehrfache darüber. Der BGH hat aber auch eine Hintertür offen gelassen: Sofern besondere Milderungsgründe vorliegen, könne von dieser Regel abgewichen werden.

Und da gibt es noch die strafbefreiende Selbstanzeige. Die hat Hoeneß im Januar 2013 eingereicht, nachdem sich die Hoffnungen der Kontoinhaber auf ein Abkommen mit der Schweiz zur Legalisierung dort gelagerter Vermögen zerschlagen hatten. Wenn diese Selbstanzeige anerkannt worden wäre, wäre Hoeneß fein raus. Doch dem war nicht so. Weder Finanzamt noch Staatsanwaltschaft erkannten die Selbstanzeige als strafbefreiend an. Es kommt zum Ermittlungsverfahren und am 20. März vergangenen Jahres zur Durchsuchung von Hoeneß' Haus am Tegernsee. Der Bayern-Boss wird festgenommen, aber gegen eine hohe Kaution wieder auf freien Fuß gesetzt.

Erstes Ziel der hochkarätigen Anwälte von Hoeneß wird es daher sein, darzulegen, dass die Selbstanzeige doch wirksam war. Folgt das Gericht diesen Argumenten, winkt Hoeneß ein Freispruch und er kann weiterhin FCB-Präsident bleiben. Die zweite Verteidigungslinie besteht darin, die Selbstanzeige als schwerwiegenden Strafmilderungsgrund einzubringen. Dann würde Hoeneß zwar verurteilt, die Gefängnisstrafe könnte aber zur Bewährung ausgesetzt werden. Ob er in diesem Fall noch Bayern-Chef bleiben kann, ist zweifelhaft.

Ob die Selbstanzeige aus "freien Stücken" und als Ausdruck "tätiger Reue" abgegeben wurde, wie es das Gesetz verlangt, ist zweifelhaft. Nach den Recherchen der "Süddeutschen Zeitung" wurde die Anzeige panikartig verfasst, nachdem Hoeneß erfahren hatte, dass sich ein "Stern"-Reporter nach den geheimen Konten einer deutschen Sportgröße bei seiner Bank erkundigt habe.

Überhaupt geht es in dem Prozess, für den nur vier Tage angesetzt sind, kaum um Sachverhaltsaufklärung, sondern um rechtliche Bewertungen. So sind als Zeugen auch nur vier Steuerfahnder geladen. Dem Angeklagten stehen drei Verteidiger zur Seite. Einer von ihnen ist der Frankfurter Staranwalt Hanns Feigen, der schon zahlreiche angeklagte Promis vor noch Schlimmeren bewahrt hat. Und nun auch Hoeneß?Der Prozess gegen Uli Hoeneß hat eine politische Dimension - und damit ist nicht gemeint, dass der Bayernboss sogar einen engen Draht bis zum Kanzleramt gepflegt hat. Auf Promi-Steuersünder reagiert die Politik reflexartig mit großen Debatten über Konsequenzen. Geht es aber an die Umsetzung, verpufft der Elan oft. Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Nur: Wer Steuerhinterziehung wirksam bekämpfen will, muss bereit sein, große Räder zu drehen. Der muss beispielsweise Banken an die Kandare nehmen, die Steuerflucht zum Geschäftsmodell gemacht haben. Oder es multinationalen Konzern erschweren, ihre Gewinne dorthin zu verschieben, wo sie am wenigsten Steuern bezahlen. Dazu bedarf es Mut. Der fehlt jedoch vielfach in der Politik.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort