Eliteausbildung zur Wölfin unter Wölfen

Merzig · Zierlich, zäh, nicht zimperlich, so lässt sich Tatjana Schneider (45) beschreiben. 20 Jahre arbeitete sie Seite an Seite mit dem kürzlich verstorbenen Wolfspark-Gründer Werner Freund. Jetzt muss sie sich allein beweisen.

 Tatjana Schneider hat nach dem Tod von Werner Freund die Aufgabe übernommen, den Merziger Wolfspark in seinem Sinne weiterzuführen. Foto: Rolf Ruppenthal

Tatjana Schneider hat nach dem Tod von Werner Freund die Aufgabe übernommen, den Merziger Wolfspark in seinem Sinne weiterzuführen. Foto: Rolf Ruppenthal

Foto: Rolf Ruppenthal

Das Zigarre-Rauchen wird sie sich nicht angewöhnen; sie dreht ihre Zigaretten selbst. Die Zigarre war Werner Freunds Markenzeichen, bizarr für einen Naturburschen im Kampf-Overall, deshalb ein beliebtes Fotomotiv. Auch kursierte der Witz, die Merziger Wölfe hielten Zigarrenrauch für den natürlichen Hautgeruch der Zweibeiner. Nein, stellt Tatjana Schneider klar, wie sie dies noch oft während unseres Treffens tun wird: ohne belehrenden Unterton, bedächtig. Die Wölfe, die mit der Hand aufgezogen werden - es ist dies das Besondere in Merzig -, erkennen "ihren" Menschen am Körpergeruch. Deshalb lassen sie ihn dann auch später ins Gehege und respektieren Besucher am Zaun.

Jedenfalls ist im Kontakt mit Wölfen in Lenor gespülte Unterwäsche ebenso wenig ein Problem wie After Shave. Trotzdem pflegte Freund sein "Wolfsmensch"-Image, trat als bärtiger, Lehm verdreckter Abenteurer in Erscheinung, ließ sich das blutige Fleisch von den Wölfen aus dem Mund reißen. Es waren Bilder, die um die Welt gingen, ein mediales Fressen. Wird man ähnlich Spektakuläres von Tatjana Schneider sehen? Wird sie die "Leitwölfin aus Merzig"? Das ist eher auszuschließen. Selbst wenn sie bei der Aufzucht "wölfisch" agieren muss, also den Welpen ebenfalls das Fleisch von Mund zu Mund reicht. Nein, das ist nicht ihr Stil. Wesensstärke und Souveränität nennt sie als Basis dafür, dass die Wölfe sie akzeptieren. Eine fortschrittliche Gemeinschaft "sozialer Raubtiere", denn Geschlecht oder eine zierliche Figur spielten für die Rangfolge nicht vordringlich eine Rolle. Auch der kranke, schwache, alte Werner Freund sei weiterhin anerkannt worden, sagt Tatjana Schneider: "Wölfe sind keine Bestien."

Sie formuliert sehr behutsam, wenn es um ihren erst kürzlich, am 9. Februar verstorbenen Chef geht, den Gründer des Merziger Wolfsparks, den sie beerbt: "Es war Werners Art, breitenwirksam zu kommunizieren. Heute haben wir eine andere Zeit. Er war die Stimme der Wölfe, als man sie noch überall bekämpfte. Ich werde diese Mission fortsetzen, aber mehr mit der Fachöffentlichkeit in Kontakt treten." 20 Jahre begleitete sie Freund, der sich als "Oberwolf" bezeichnete, über den Leittieren rangierend - eine Position, die die Natur nicht bereithält. Auch das rückt Tatjana zurecht. Sie weiß, sie kann Freunds Lebenswerk nicht fortführen, indem sie ihn kopiert. "Ich werde meine eigenen Fußstapfen setzen", sagt sie, mehr nicht. Sie trägt bei unseren Treffen im Haus von Werner Freunds Witwe Erika schwere Wanderschuhe mit tiefen Profilen. Schauen wir mal. Derzeit ist es noch zu früh, die Zukunft zu entwerfen. Also wenden wir den Blick zurück, in ein unkonventionelles Frauenleben. Tatjana wuchs als Tochter einer Brunsbütteler Mutter in Roermund (Holland) auf, mit dem "Duft der Äcker" in der Nase, ein Naturkind, das Hirsche und Hängebauchschweine im nahen Tierpark mitversorgte. Ein Teenager mit Risikobereitschaft und Reiselust, der vom 14. Lebensjahr an per Anhalter ganz Europa durchquerte, sich als Porträtmalerin und Möbelhaus-Angestellte durchschlug. Es sollte genug Zeit bleiben für Dishna, eine Leonberger Hündin. "Die hatte eine logische Sprache, aber ich verstand sie nicht", erzählt Tatjana. So kam es zu Kontakten in die Verhaltensforscher-Szene, schließlich zum Merziger Team: "Dort war ich direkt am Brunnen." Im November 1993 durfte Tatjana erstmals Welpen mit groß ziehen: "Es war saukalt, es gab keine Heizung, keinen Strom." Offensichtlich beeindruckte die wetterfeste junge Frau schon damals den früheren Bundeswehr-Eliteeinheit-Ausbilder Freund: "Ich war für alles einsetzbar, das gefiel ihm, und dass ich mich allem anpassen konnte." Wer mitmachen will bei der Wolfs-Betreuung, darf nicht zart besaitet sein. Es gilt, mit Schrubbern die Wasserbecken zu säubern, tot geborene Kälber aus dem Stall ins Auto zu schleppen, verendetes Wild im Wald abzuholen und anschließend selbst zum Schlachtermesser zu greifen. Zwei bis vier Kilo Fleisch frisst ein Wolf pro Tag; 25 müssen versorgt werden. Tatjana wird die Tradition des Wolfsparks fortsetzen, die Tiere auf nichts zu trainieren und sie nicht zur Schau zu stellen. Zoos sind ihr ein Graus. Bereits im Alter von sechs Jahren weigerte sie sich, ihre Familie dorthin zu begleiten. Um im Wolfspark angestellt werden zu können, absolvierte sie aber dann doch eine Tierpfleger-Lehre. Mit dem Ehepaar Freund entwickelte sich über die Jahre eine enge, aber keine töchterliche Bezeihung: "Werner und ich waren uns sehr ähnlich. Wir waren Kameraden fürs Leben." Offensichtlich hat Freund sie zur Elitesoldatin ausgebildet - für seine Wölfe. Er starb, nachdem sie alle Wölfe mit aufgezogen hatte; es ist Tatjanas Eintrittsbillett in alle Gehege.

Was prädestiniert sie außerdem für ihre Aufgabe? Starke Nerven und eine unempfindliche Nase. Angst kennt sie nicht, als Globetrotterin hat sie ihren Instinkt trainiert: "Ich behalte in Gefahrensituationen einen klaren Kopf." Die Freude an groben Wolfs-Zärtlichkeiten musste sie freilich erst entwickeln: Krallen und Zähne und Speichel gehören zum morgendlichen Begrüßungs-Zeremoniell.

Gibt es zu Hause eine Gegenwelt? Tatjana berichtet von ihrer hausfraulichen Putz- und Kochfreude. Aber in ein Weibchen in High Heels verwandele sie sich nie, meint sie. Auch privat bleibe sie die Kernige, Ungeschminkte, Sportliche. Tatjana lebt mit ihrem über zehn Jahre jüngeren Freund, der ebenfalls im Park arbeitet, in Saarlouis, hat zusätzlich eine Wohnung in Merzig. Sie will blitzschnell bei ihren Tieren sein: "Verantwortung nehme ich sehr, sehr ernst. Es muss anderen Lebewesen gut gehen." Vertrauen, nicht Dominanz, sagt sie, sei die Basis einer guten Beziehung zu den Wölfen: "Ich bin bei ihnen jederzeit herzlich willkommen." Man hört's, wenn Tatjana heult, was der Wald hält. Es macht ihr tierisch Spaß. Und der Wolfschor beschert der Journalistin einen herrlichen, einen überwältigenden Moment. Da ist sie, die Wölfin unter Wölfen.

 Waren kameradschaftlich verbunden: Tatjana Schneider und Wolfspark-Gründer Werner Freund. Foto: Rolf Ruppenthal

Waren kameradschaftlich verbunden: Tatjana Schneider und Wolfspark-Gründer Werner Freund. Foto: Rolf Ruppenthal

Foto: Rolf Ruppenthal

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Auf einen BlickDer Wolfspark im Kammerforst wurde 1977 von Werner Freund (1933-2014) gegründet, der 1972 als Ausbilder mit dem Fallschirmjägerbataillon nach Merzig kam. Die Stadt stellte 1,3 Hektar zur Verfügung. Freund und seine Frau Erika leben mit den Wölfen, um ihr Verhalten zu erforschen. Als "Wolfsmensch" wird Freund zum Medienmagneten, schließlich definieren die Stadt Merzig und das Land den Park als touristischen Premium-Ort. Von 2006 bis 2009 wird er ausgebaut und modernisiert (2,5 Mio. Euro). Heute umfasst er 13 Hektar, pro Jahr kommen 100 000 Besucher. Telefon (0 68 61) 91 18 18. ce

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