Einmischen statt wegsehen

München · Bundespräsident Joachim Gauck macht sich für einen Paradigmenwechsel in der deutschen Außenpolitik stark. Anstatt Zurückhaltung zu üben, solle sich die Bundesrepublik „früher, entschiedener und substanzieller“ einbringen.

Es war eine "Ruck-Rede" mit viel Konfliktpotenzial. Bundespräsident Joachim Gauck hat zum Auftakt der Münchener Sicherheitskonferenz von Deutschland eine aktivere Rolle in der Welt gefordert. "Die Bundesrepublik sollte sich als guter Partner früher, entschiedener und substanzieller einbringen”, mahnte er gestern in seiner Eröffnungsrede. Deutschland müsse bereit sein, "mehr zu tun für jene Sicherheit, die ihr über Jahrzehnte von anderen gewährt wurde". Das soll heißen: Deutschland ist unter dem Schutzschirm der Nato zu einer der größten Wirtschaftsmächte der Welt aufgestiegen und profitiert überdurchschnittlich von der Globalisierung. Nun ist es Zeit, etwas zurückzugeben - und jene offene Ordnung in der Welt zu verteidigen, die der Bundesrepublik so viel Wohlstand gebracht hat.

Die Bundesrepublik dürfe auch mal abseitsstehen, aber nicht zu oft, so Gauck. Denn: "Alleingänge haben ihren Preis." Damit kritisierte er unverblümt den Kurs von Ex-Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) in der Libyen-Krise, wo Deutschland sich im UN-Sicherheitsrat bei der Abstimmung über die Resolution zur Errichtung einer Flugverbotszone enthielt und dies mit der deutschen Tradition der militärischen Zurückhaltung begründete. Gauck betonte hingegen, Deutschland dürfe aus seiner historischen Schuld nicht mehr länger ein "Recht auf Wegsehen" ableiten. Denn daraus entstehe schnell eine ungerechtfertigte "Selbstprivilegierung".

Das bedeutet nicht weniger als einen Paradigmenwechsel in der deutschen Außenpolitik. Den hatten zuletzt bereits Außenamtschef Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) eingeleitet. "Gleichgültigkeit ist für ein Land wie Deutschland keine Option - weder aus sicherheitspolitischer noch aus humanitärer Sicht" , sagte sie gestern in München. "Wenn wir über die Mittel und Fähigkeiten verfügen, dann haben wir auch eine Verantwortung, uns zu engagieren." Das Prinzip der staatlichen Souveränität und der Grundsatz der Nichteinmischung dürften gewalttätige Regime nicht unantastbar machen, forderte auch der Bundespräsident. Als "äußerstes Mittel" sei "der Einsatz von Militär möglich". Und wenn der Einsatz der Bundeswehr in Frage komme - dann gelte: "Deutschland darf weder aus Prinzip ‚Nein' noch reflexhaft ‚Ja' sagen", so Gauck.

Die Bevölkerung müssen beide für den Kurswechsel erst noch gewinnen. 58 Prozent der Bundesbürger meinen, das Land solle Konflikte lieber mit Diplomatie und Geld lösen als mit Waffen. Und so betonte der Bundespräsident zur Beruhigung der Skeptischen: "Deutschland wird nie rein militärische Lösungen unterstützen, sondern wird politisch besonnen vorgehen, und alle diplomatischen Lösungen ausschöpfen." Auch von der Leyen schränkte ein: "Dies bedeutet nicht, dass wir dazu tendieren sollten, unser ganzes militärisches Spektrum einzusetzen auf keinen Fall."

Mehr als 400 internationale Gäste kommen am Wochenende zur Sicherheitskonferenz nach München - darunter 20 Staats- und Regierungschefs sowie 50 Außen- und Verteidigungsminister. Auch am Rande der offiziellen Gesprächsrunden dürfte es höchst interessante Begegnungen geben: US-Außenamtschef John Kerry will erstmals mit dem ukrainischen Oppositionspolitiker Vitali Klitschko sprechen. Auch das Nahost-Quartett trifft sich, um die Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern voranzubringen.

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