Eine Stadt erhebt sich gegen den Nazi-Terror

Warschau · Sinnloses Heldentum oder ein Kampf mit Aussicht auf Erfolg? Der Warschauer Aufstand vom August 1944 ist auch nach Jahrzehnten umstritten. Vergessen ist er aber keineswegs.

 SS-Soldaten verhaften zwei Juden im Warschauer Ghetto. Die Menschen in Polen lehnten sich später gegen die Besatzer auf. Foto: dpa

SS-Soldaten verhaften zwei Juden im Warschauer Ghetto. Die Menschen in Polen lehnten sich später gegen die Besatzer auf. Foto: dpa

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Am Freitag werden in ganz Warschau wie in jedem Jahr um 17 Uhr die Sirenen ertönen - zur Erinnerung an die "Stunde Null", den Beginn des Aufstands gegen die deutsche Besatzung am 1. August 1944. Es war die größte bewaffnete Aktion der Widerstandsbewegung im besetzten Polen . Mit tragischen Konsequenzen und fast 200 000 Toten nach zwei Monaten Kampf. Die meisten von ihnen waren Zivilisten.

Über die Bewertung des Aufstands wird bis heute gestritten. Für die einen ist er der Ausdruck patriotischen Heldentums mit dem Versuch, die polnische Hauptstadt aus eigener Kraft zu befreien. Für die anderen ist es eine letztlich aussichtslose Aktion, der viel zu viele Menschenleben geopfert wurden. Streit gibt es auch ums "Erbe" des Aufstands. Bei den Gedenkfeiern vergangener Jahre wurden Regierungspolitiker von rechtsextremen und nationalistischen Gruppen ausgepfiffen - aus deren Sicht haben sie mit der Normalisierung des Verhältnisses zu Deutschland und der Integration in Europa nationale Interessen verraten. Ex-Außenminister Wladyslaw Bartoszewski, der als junger Mann selbst im Warschauer Aufstand gekämpft hatte, überlegte 2013 sogar, den Gedenkfeiern fernzubleiben, wenn diese vom "Pöbel" vereinnahmt würden.

In diesem Jahr gibt es vor dem 70. Jahrestag des Aufstands Kontroversen um die Kommerzialisierung des Kampfes. Ein Designer brachte eine T-Shirt-Kollektion auf den Markt, unter anderem mit künstlichen Blutflecken. Eine Spielzeugfirma bietet mit dem Bausatz "Barrikade" Bauklötze und Plastikfiguren zum Nachbau der Kämpfe an, für Kinder von fünf Jahren aufwärts. "Spielzeug dieser Art sollte verboten sein", protestierte Edmund Baranowski vom Verband der Warschauer Aufständischen. Der 88-jährige Ex-Kämpfer, der während der Tage des Aufstands auch viele der jugendlichen Kämpfer und Meldegänger sterben sah, meint heute: "Eine Waffe, selbst wenn sie aus Plastik ist, gehört nicht in Kinderhände." Vor 70 Jahren wurde das anders gesehen. Pfadfinder im Alter von 14 bis 16 Jahren kämpften und starben im Aufstand. An der alten Stadtmauer von Warschau erinnert heute ein Denkmal an diese Kinder: Ein kleiner Junge mit viel zu großen Stiefeln und einem Gewehr in der Hand.

Für die militärische Führung der "Heimatarmee", der größten Widerstandsorganisation im besetzten Polen , und die polnische Exilregierung in London ging es im Sommer 1944 nicht nur um die polnische Hauptstadt, sondern um die Zukunft des Landes. Die deutsche Armee befand sich an allen Fronten auf dem Rückzug. Die Rote Armee hatte das östliche Weichselufer erreicht. Und nicht nur das: Im Juli 1944 war im ostpolnischen Lublin das prokommunistische Polnische Komitee der Nationalen Befreiung gegründet worden - eine Gegenregierung mit Rückendeckung Stalins.

Noch dauerte der Krieg an, doch es zeichnete sich bereits ab, dass Polen einmal mehr zum Spielball der mächtigeren Staaten zu werden drohte. Bereits ein Jahr zuvor hatten die alliierten Großmächte auf der Konferenz von Teheran über eine Westverschiebung Polens gesprochen. Die ostpolnischen Gebiete, die am 17. September 1939 von der Sowjetunion besetzt wurden, sollten sowjetisch bleiben. Mit der Befreiung Warschaus aus eigener Kraft und der Bildung einer polnischen Regierung nach der Vertreibung der deutschen Besatzer hätte die Exilregierung einen wichtigen Trumpf in der Hand gehabt.

Doch der Aufstand scheiterte tragisch. Die Hoffnung, dass die Rote Armee die Kämpfe unterstützen würde, erfüllte sich nicht. 16 000 Untergrundkämpfer wurden getötet, 20 000 verletzt und 15 000 gefangen genommen. Die Zahl der getöteten Zivilisten wird auf 180 000 geschätzt. Nach der blutigen Niederschlagung am 3. Oktober 1944 wurde Warschau von den Deutschen zerstört, die Bevölkerung vertrieben oder in Konzentrationslagern inhaftiert. - eine brutale Strafaktion, die vor Nachahmung warnen sollte.

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HintergrundDem Warschauer Aufstand hat die Gedenkstätte "Topographie des Terrors" in Berlin eine Ausstellung gewidmet. Bundespräsident Joachim Gauck eröffnete gestern gemeinsam mit seinem polnischen Kollegen Bronislaw Komorowski die Präsentation von Schaubildern, Dokumenten und Filmen. Dabei hat Gauck die enge Freundschaft der Länder gewürdigt, die "an ein Wunder grenzt". kna

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