Eine Ministerin kämpft um ihren RufKleine Kulturgeschichte des Plagiats

Düsseldorf. Schicksalstag für Annette Schavan: Während die Bundesregierung in Berlin den 50. Jahrestag des Elysée-Vertrags zelebrierte, war die Bundesbildungsministerin gestern mit ihren Gedanken wohl eher in Düsseldorf

 Verliert sie ihren Doktortitel? Die Plagiatsaffäre hat Bildungsministerin Annette Schavan schwer zugesetzt.Foto: Kappeler/dpa

Verliert sie ihren Doktortitel? Die Plagiatsaffäre hat Bildungsministerin Annette Schavan schwer zugesetzt.Foto: Kappeler/dpa

Düsseldorf. Schicksalstag für Annette Schavan: Während die Bundesregierung in Berlin den 50. Jahrestag des Elysée-Vertrags zelebrierte, war die Bundesbildungsministerin gestern mit ihren Gedanken wohl eher in Düsseldorf. In einem geheim gehaltenen Uni-Gebäude - abgeschirmt vor Kameras und Journalisten - kam dort der Rat der Philosophischen Fakultät zusammen und entschied nach stundenlangen Beratungen am späten Abend mit 14 Ja-Stimmen und einer Enthaltung, ein Verfahren zum Entzug ihres Doktortitels zu eröffnen.

Im April vergangenen Jahres tauchten im Internet anonyme Plagiatsvorwürfe gegen Schavan auf. Seitdem findet die Debatte um ihre 1980 in Düsseldorf eingereichte Dissertationsschrift zum Thema "Person und Gewissen" kein Ende. An 60 bis 70 Stellen der Arbeit wollen Plagiatsjäger nicht sauber ausgewiesene Quellen entdeckt oder Verstöße gegen wissenschaftliche Standards ausgemacht haben. Die Dissertation der damals 25-jährigen Studentin Schavan wurde mit der Note "magna cum laude" (sehr gut) bewertet.

Spätestens dann, wenn es tatsächlich zum Entzug ihres Doktortitels kommen sollte, wäre Schavan als Bildungs- und Forschungsministerin nicht mehr tragbar. Aber auch ein Verfahren zuvor kann sich sehr lange hinziehen. Einige, wie der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, Bernhard Kempen, sagen bereits, dass selbst die Einleitung eines Entzugsverfahrens dem Amt des Bundesbildungsministers nicht gut tue - und Schavan über Konsequenzen nachdenken müsse. Ähnliche Stimmen gibt es aus der Koalition. Dort sorgt man sich allerdings mehr wegen des nahenden Bundestagswahlkampfes.

Ein Blick in den Terminkalender der Ministerin offenbart die Brisanz. Heute - am Tag nach der Entscheidung der Düsseldorfer Uni - steht für 16 Uhr ein Seminar der Honorarprofessorin Dr. Schavan in der FU Berlin auf dem Plan - und am Abend ein Essen mit den Mitgliedern des Wissenschaftsrates - zusammen mit der Bundeskanzlerin.

Doch nicht nur für Schavan, auch für die Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität könnte die Entscheidung folgenschwer werden. Die Uni steht unter einem immensen Druck in dem Prüfverfahren. Die Hochschule muss ihren Ruf verteidigen, seit eine interne Voruntersuchung des Chefs der Promotionskommission und Judaistik-Professors Stefan Rohrbacher in Medien lanciert wurde. Kritisiert wird auch die Länge des Verfahrens und dass bisher nur ein Gutachter die Arbeit geprüft hat. Auch die fachliche Eignung Rohrbachers, der kein Erziehungswissenschaftler ist, wurde in Zweifel gezogen. Die Universität hält mit einem Rechtsgutachten dagegen, das ihr bescheinigt, bei dem Prüfverfahren einwandfrei gearbeitet zu haben.

Die Debatte um Schavans Doktorarbeit spaltet inzwischen die Wissenschaft. Als völlig ungewöhnlich gilt das Vorgehen der Allianz der Wissenschaftsorganisationen, die am Wochenende deutliche Kritik am Vorgehen der Uni übten. In der Allianz arbeiten die großen Forschungsorganisationen zusammen, die Milliarden vom Bund erhalten, aber auch die Rektorenkonferenz und der Wissenschaftsrat. Die Stellungnahme wird von Außenstehenden als Parteinahme der Allianz pro Schavan verstanden. Der Berliner Jura-Professor Gerhard Dannemann verwies im Deutschlandfunk darauf, dass bislang noch keinem Beschuldigten in einem Plagiatsverfahren solch prominente und hochkarätige Unterstützung widerfahren sei wie Schavan.Bonn. Der römische Poet Martial hat's erfunden: Im ersten Jahrhundert nach Christus zog er einen folgenschweren Vergleich. Erbost, dass ein Kollege sich mit fremden Versen schmückte, schrieb er: Wie ein Familienvater seine Sklaven oder Kinder habe er seine Bücher in die Freiheit entlassen. Er wünsche nicht, dass dieser Zustand durch einen "Menschenräuber" rückgängig gemacht werde. "Menschenräuber", lateinisch "Plagiarius": Damit war ein Begriff in der Welt, der die Menschheit bis heute beschäftigt. Texte abzukupfern oder Erkenntnisse anderer als eigene auszugeben - das kommt immer noch schlecht an. Hierzulande stehen vor allem Politiker im Fokus. Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) musste seinen Job als Verteidigungsminister abgeben, nachdem in seiner Doktorarbeit reihenweise Plagiate auftauchten. Jetzt ist Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) im Visier der Plagiatsjäger.

Dass die Sache mit der Urheberschaft so ihre Tücken hat, war den Menschen schon vor Martial bekannt. So berichtet der Architekt Vitruv von einem Vorfall, der sich im dritten Jahrhundert vor Christus in Alexandria zugetragen haben soll. Bei einem Dichterwettstreit flogen gleich mehrere Wortakrobaten wegen unerlaubter Textübernahmen auf und wurden als Diebe abgeurteilt. Ähnliche Fälle wurden jedoch nicht aktenkundig. Offenbar ein Zeichen dafür, dass der "Copyright"-Gedanke nicht sonderlich verbreitet war. Ob auch die Evangelisten Matthäus und Lukas von solcher Laxheit profitierten? Schließlich finden sich in beiden Evangelien Passagen, die sich mit der älteren Version des Textes von Markus decken. Der Augsburger Neutestamentler Stefan Schreiber sagt jedoch: "Denen ging es um die Botschaft, nicht um den eigenen Namen."

Die Wende brachte erst die Renaissance mit ihrer Wiederentdeckung antiker Quellen und dem gestiegenen Selbstbewusstsein von Künstlern und Forschern. So machte der Maler Albrecht Dürer (1471-1528) seine Initialen zum Markenzeichen. Die ersten ausführlichen Einträge zum Plagiat tauchen in Handbüchern des 17. Jahrhunderts auf. Im Deutschen bürgert sich der Begriff gar erst Ende des 18. Jahrhunderts ein. Durch die "Copy and Paste"-Mentalität im Internetzeitalter ist er inzwischen Allgemeingut, sagt der Dresdner Plagiatsgutachter Stefan Weber. "Ich kenne Dissertationen, bei denen unzitiert Textblöcke aus Wikipedia in den eigenen Fließtext einverleibt wurden." kna

Dünne Luft

für Schavan

Von SZ-Korrespondent

Hagen Strauß

Für Annette Schavan wird die Luft dünner. Zwar ist gestern noch keine endgültige Entscheidung über die Aberkennung ihres Doktortitels gefallen, aber die Richtung ist mit der Einleitung des Verfahren vorbestimmt. Schavan muss jetzt mehr denn je um ihren Titel bangen. Dass eine Wissenschaftsministerin es schwer begründen kann, im Amt bleiben zu wollen, wenn ihr demnächst vielleicht ihr eigener akademischer Grad aberkannt wird, weiß sie vermutlich auch. Dennoch sollte man noch einmal auf die Fakten schauen: Die Uni selbst geht offenbar nicht mehr nur von einer absichtlichen Täuschung aus, sondern vor allem von handwerklichen Fehlern. Gemacht vor 30 Jahren, als andere Maßstäbe des wissenschaftlichen Arbeitens galten als heute. Viele Wissenschaftler sind der Ministerin deshalb inzwischen zur Seite gesprungen. Zu Recht. Das Vorgehen der Uni mag rechtlich korrekt sein, aber klar ist auch: Schavan ist kein Guttenberg, sie ist niemand, der ganze Seiten schlichtweg abgeschrieben hat und die Leute für dumm verkaufen wollte.

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