Eine Maß Bier pro Monat von Schäuble

Berlin. Der Dämpfer kam noch während der laufenden Pressekonferenz aus dem fernen München. Mit ihm sei das nicht abgesprochen, sagte CSU-Chef Horst Seehofer (Foto: dpa). Über Steuersenkungen werde erst heute Abend beim Koalitionsgipfel entschieden

Berlin. Der Dämpfer kam noch während der laufenden Pressekonferenz aus dem fernen München. Mit ihm sei das nicht abgesprochen, sagte CSU-Chef Horst Seehofer (Foto: dpa). Über Steuersenkungen werde erst heute Abend beim Koalitionsgipfel entschieden. Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) saßen da zwar nach ihrer überraschenden Einigung über eine Milderung der "kalten Progression" immer noch stolz vor der Hauptstadtpresse, doch war die Wirkung ihrer Verkündung zerstört.Offenbar war Seehofer sauer, dass er nicht eingebunden war. "So geht es nicht, dass man Fakten in der Öffentlichkeit schafft, die wir dann abnicken sollen. Punkt", sagte der Christsoziale. Rösler erklärte unserer Zeitung dazu auf Anfrage, im Sommer hätten die Koalitionsspitzen beschlossen, über Art und Umfang von Steuersenkungen im Herbst zu entscheiden, wenn genauere Wirtschaftsdaten vorlägen. Das Kabinett habe diesen Plan abgesegnet. Nun gebe es die Daten (plus 2,9 Prozent Wachstum in diesem und plus 1,0 Prozent 2012). "Also haben jetzt die zuständigen Minister einen Vorschlag gemacht, wie es ihre Aufgabe ist."

Der Vorschlag sieht eine Tarifkorrektur ab 2013 vor. Entsprechend der Inflationsrate in den Jahren 2011 und 2012 soll dann der Grundfreibetrag angehoben und der gesamte Tarifverlauf "nach rechts" verschoben werden. Angenommen, es gäbe bis 2013 eine vierprozentige Inflation. Dann betrüge der neue Grundfreibetrag 8320 Euro statt 8004 Euro. Ab da ginge es dann los mit der progressiven Besteuerung. Ein lediger Arbeitnehmer mit 3000 Euro Brutto-Verdienst hätte eine monatliche Entlastung von etwa neun Euro gegenüber heute - so viel kostete eine Maß auf dem Oktoberfest. Mit sechs bis sieben Milliarden Euro Gesamtentlastung rechnete Schäuble. Zudem soll diese Operation nach seinem Vorschlag künftig alle zwei Jahre nach Vorlage eines Berichtes über die Wirkung der kalten Progression wiederholt werden. Freilich nach Ermessen der jeweiligen Regierungen.

Schäuble wie Rösler ließen offen, was passiert, wenn der Bundesrat das Vorhaben blockiert. Und das zeichnet sich ab, weil viele Länder unter Hinweis auf die Schuldenbremse und die prekäre Lage des Euro erklären, dass es keinen Spielraum für Steuerausfälle gebe. Rösler sagte, die SPD müsste dann ihren Wählern an den Werkstoren erklären, warum der Staat die Mehreinnahmen aus der kalten Progression für sich behalte. Allerdings sind auch etliche CDU-Ministerpräsidenten gegen Steuersenkungen.

Der Ärger Seehofers ist womöglich auch taktischer Natur. Denn beim Koalitionsgipfel geht es um weitere Themen, darunter auch Forderungen der CSU. Fast alles ist strittig: Pflege, Betreuungsgeld, Pkw-Maut, somit also auch die Aufstockung des CSU-geführten Verkehrsetats. Bei allem Themen, so zeigt sich bereits, gibt es kaum Gemeinsamkeiten, schon gar keine Begeisterung, vieles ist der Parteitaktik und nicht der Vernunft unterworfen worden. Man werde "über das gesamte Finanztableau reden", drohte Seehofer. Er will offenbar ein Gesamtpaket und scheut deshalb Vorfestlegungen. Um dem "Mini-Koalitionsausschuss" freie Hand zu lassen, wurde in dieser Woche eine ganz Reihe von Runden der Koalitionsfachpolitiker abgesagt. So sollte verhindert werden, dass zu viel zu schnell und zu unterschiedlich nach draußen gelangt. Nur beim Steuerthema machten Schäuble und Rösler es anders. "So geht

es nicht!"

CSU-Chef

Horst Seehofer

Meinung

Kalte Mogelpackung

Von SZ-KorrespondentWerner Kolhoff

Dass die kalte Progression ungerecht ist, wusste man schon immer. Aber die CDU, allen voran Wolfgang Schäuble, wollte eine Reform nicht. Scheinbar hat Schäuble gestern eingelenkt, scheinbar kann FDP-Chef Philipp Rösler den Seinen endlich liefern, was er bei seiner Wahl versprach: Steuersenkungen. Doch Schäuble hat in Wirklichkeit nur einen Koffer mit Zeitungsschnipseln übergeben. Das fängt schon damit an, dass die CSU in den Vorschlag nicht eingebunden war und nun beim Koalitionsgipfel heute Abend von der FDP einen hohen Preis dafür fordern wird, dass Rösler sein Gesicht nicht verliert. Vor allem aber ist klar, dass der Bundesrat der Entlastung nicht zustimmen wird.

Weil Schäuble keine Alternative anbietet, etwa beim Solidarzuschlag, kann man den gestrigen Vorschlag nur als das bezeichnen, was er ist: eine Mogelpackung. Mit ihr soll die FDP vertröstet und ein Wahlkampfargument gegen die Steuererhöher von der SPD vorbereitet werden.

Hintergrund

Der Begriff "kalte Progression" meint, dass kleinere Lohnerhöhungen zu einem sinkenden Realeinkommen führen können. Wenn ein Arbeitnehmer eine Lohnerhöhung bekommt, die lediglich so groß ist wie die Inflation, also die allgemeine Preissteigerung, rutscht er oft in einen höheren Steuertarif: Er gibt dem Staat einen höheren Prozentsatz seines Einkommens ab als vorher. Der Steuerzahler kann sich mit seinem neuen Einkommen weniger kaufen als mit seinem alten. dapd

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