Eine märchenhafte Mission

Kaiserslautern/Saarbrücken · Die Raumfahrt ist eine Männer-Domäne. Jovana Dzalto will trotzdem als erste Deutsche ins All. Die Forscherin aus Kaiserslautern kämpft derzeit bei einem Weltraum-Casting um den begehrten Job als Astronautin.

Jovana schwebt durch die Raumstation. Ihr Atem geht schwer. Mit aller Kraft versucht die zierliche Frau, im klobigen Raumanzug ein kleines Bauteil zu greifen. Sie streckt ihren Arm, die Hand, die Finger. Doch sie kriegt es nicht. Das Ding treibt wie in Zeitlupe vor ihr her. Jovana streckt sich weiter, kämpft - bis sie aufwacht. Und sich ärgert.

Seit Wochen träumt Jovana Dzalto, 31, Ingenieurin, diese für sie nervenaufreibende Szene. "Das ist zum Ausrasten", sagt sie. "Irgendwann werde ich das Teil aber haben." Dzalto nippt dabei an ihrem Espresso, fixiert die Tasse mit ihren grün-braunen Augen fest. Sie sitzt gerade im Pausenraum des Instituts für Verbundwerkstoffe in Kaiserslautern. Ein futuristisch anmutender, riesiger, grau-weißer Komplex auf dem Campus der Technischen Universität. Dzaltos alltägliche Welt. Die gebürtige Bosnierin promoviert dort ganz irdisch - im Bereich Maschinenbau . Seit vier Jahren. Noch bis Anfang 2017. Dann könnte sich ihr Leben radikal ändern.

Denn sie will die erste Astronautin in der Geschichte der Bundesrepublik werden und in Fußstapfen der kosmischen "First Lady", Valentina Tereschkowa, treten. Die Russin flog am 16. Juni 1963 als erste Frau ins Weltall . Ihr folgten bislang etwa 60 Frauen. Noch nie war eine Deutsche dabei. Dzalto ist jetzt zumindest dicht dran. In mehreren Runden hat sie bislang über 300 Bewerberinnen bei einem Weltraum-Casting hinter sich gelassen. Jetzt sind es mit ihr noch 86. "Das ist schon irre." 2020 soll die Mission zur Raumstation ISS starten. "Hoffentlich mit mir."

Dabei war Dzalto nie das Mädchen, das ernsthaft davon geträumt hat, einmal Astronautin zu sein. "Ich hätte mir das einfach nie zugetraut", sagt sie. "Astronauten waren für mich immer so was wie Super-Menschen. Hyperintelligent, mega- sportlich, unvorstellbar belastbar. Und ich bin doch nur ein ganz normales Mädchen." Der Weltraum fasziniert sie, seit sie ein kleines Kind ist. "Die Erde einmal von oben sehen: Das wäre für mich das Größte", sagt sie, ihre Augen leuchten dabei.

Würde sie es schaffen, es hätte etwas von einem modernen Märchen. Denn Dzalto stand bereits als Kind vor den Trümmern ihrer Existenz. Als Siebenjährige musste sie mit ihrer Mutter aus ihrer Heimat Bosnien fliehen. Es herrschte Krieg im damaligen Jugoslawien. Wie viele Landsleute suchten auch die Dzaltos Schutz in Deutschland. "Das erste Jahr war besonders hart, auch wenn die Leute nett zu uns waren. Ich konnte mich ja nicht mal mit jemandem unterhalten." Auch mit einer sicheren Arbeit klappte es nicht, die Familie ging zurück. Nach Serbien, um nahe der Heimat zu sein. Doch dann holte der Krieg sie auch dort ein. Und die Dzaltos flüchteten erneut in die Bundesrepublik. Diesmal endgültig. In Rheinland-Pfalz ließen sie sich nieder - unter anderem im Hunsrück und auch in der Eifel. Hier sei sie nun fest verwurzelt. "Ich fühle mich als echtes Pfälzer-Mädchen - bis auf den Dialekt."

Ohne eine andere Frau hätte sie aber nie von einem Leben als Astronautin träumen dürfen. Eine Kollegin am Institut sagte ihr: "Los, bewirb dich. Die suchen genau dich." Dzalto nahm das damals nicht ernst. Dabei hatte ihre Bekannte recht. Die Kampagne von HE Space, einem privaten Personaldienstleister für Raumfahrtspezialisten, sucht Frauen wie Dzalto. Also Forscherinnen, die in den bisher meist von Männern geprägten Fächern Mathe, Technik, Informatik und Naturwissenschaften ihre Frau stehen. "Das kann ich", sagt sie - mit einem breiten Grinsen.

Dzalto erzählt von ihrem Studienbeginn in Kaiserslautern vor zehn Jahren. "Ich war da völlig auf mich allein gestellt, die wenigen Frauen konnte man fast an einer Hand abzählen. In die Lerngruppen der Jungs wurde ich natürlich nicht eingeladen." Aber irgendwann kapierten die Jungs dann, dass sie ein "Kumpel-Typ" ist - und was drauf hat. "Ich kann meine Meinung in einer Gruppe Männer behaupten, aber ich habe nicht immer das Gefühl, es zu müssen. Ich bin da ganz entspannt."

Je länger Dzalto erzählt, umso mehr tritt hinter der zarten Statur eine ihrer charakteristischen Eigenschaften hervor. Die 1,60 Meter kleine Frau wirkt nervenstark. Das zeigt sich, wenn sie von Segelfliegen erzählt. Die Hobby-Pilotin musste mal in einem Rhabarberfeld notlanden. Sie habe "wirklich keine Angst" gefühlt. Ihr war die "Sache einfach nur total peinlich". Soviel Nervenstärke wird ihr sicher in den kommenden Wochen helfen. Dann wird sie im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt auf Herz und Hirn gecheckt. Bei einer Reihe von kognitiven, medizinischen und psychologischen Tests. Da geht es um räumliches Vorstellungsvermögen, Reaktionstests. Sollte sie bestehen, wird sie mit einer zweiten Finalistin knapp zwei Jahre lang im russischen Juri-Gargarin-Kosmonautentrainingszentrum bei Moskau und im US-amerikanischen Housten zur Astronautin ausgebildet. Eine von ihnen fliegt 2020 ins All. "Hoffentlich bin ich das dann." Die ganze Prozedur ist teuer. Die Organisatoren beziffern die Kosten auf mehrere Dutzend Euro.

Bis dahin bleibt ihre Welt aber weiter das Forschungsinstitut. Genauer: Raum 267, das Labor für Nachwachsende Rohstoffe. Im Mittelpunkt des vielleicht 20 Quadratmeter kleinen Zimmers steht ein etwa zwei Meter großer, rechteckiger Metallapparat - eine Infrarot-Heizung. "Darin habe ich quasi die letzten fünf Jahre meines Lebens verbracht." Für ihre Doktorarbeit habe sie damit unzählige Platten aus Naturfasern erhitzt, um daraus stabile Bauteile für hochwertige Autos herzustellen. "Manchmal habe ich auch einfach nur Frisbees gemacht", gesteht Jovana Dzalto mit einem Augenzwinkern.

Ihre Mission im All wird allerdings ernster. Neben wissenschaftlichen Experimenten, auch an ihr, "will ich junge Frauen dazu animieren, dass sie an sich glauben. Sie sollen wissen, dass sie alles erreichen könne, wenn sie nur wollen". Also genau wie Jovana Dzalto, ein Flüchtlings-Mädchen, das Deutschlands erste Astronautin werden will.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort