Gentechnik Eine Gen-Schere für neue Pflanzen

Brüssel · Das höchste EU-Gericht entscheidet heute über den Umgang mit einer neuen Generation von gentechnisch veränderten Gewächsen.

Nutzpflanzen, die keinen Schutz durch Pestizide mehr brauchen oder auf trockenem Boden gedeihen: Vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg werden heute die Weichen für die Gentechnik von morgen gestellt. Sie wäre nicht mehr als solche erkennbar. Die Befürworter kommen, wenn sie von der neuen Gen-Schere sprechen, ins Schwärmen, wenn sie von Reispflanzen, die nicht mehr an Bräune erkranken sowie von Weizen ohne Mehltau sprechen. Möglich machen soll dies ein Verfahren, das sich Genome Editing nennt.

Das Instrument dazu heißt Crisp/CAS und hat mit der bisherigen Technologie gentechnisch veränderter Organismen (GVO) nichts mehr zu tun. Konkret wird die DNA einer Pflanze mit Hilfe der Gen-Schere Crisp an einer vorbestimmten Stelle geschnitten. Die Selbstheilungskräfte der DNA sorgen dafür, dass sie selbst wieder zusammenwächst. Bestimmte Gene können so verändert oder eben auch ausgeschaltet werden. Die Forscher versprechen sich von der Methode, über die sie seit 2012 verfügen, Resistenzen gegen Krankheiten, ja sogar die Möglichkeit, menschliche Ersatzorgane in Tieren heranzüchten zu können. Der entscheidende Punkt ist: Diese Mutation wäre auch auf natürlichem Wege möglich – beispielsweise durch UV-Strahlung oder jene Radioaktivität, die ohnehin in der Atmosphäre vorhanden ist.

Vor den Richtern des EuGH liegt heute eine Anfrage aus Frankreich, mit der geklärt werden soll, was GVO wirklich sind und was nicht. Sollten die Richter die neuen Pflanzen nicht als gentechnisch verändert einstufen, wofür derzeit viel spricht, bräuchten sie weder eine Sicherheitsüberprüfung durchlaufen, noch müssten die Endprodukte gekennzeichnet werden. „Wenn Veränderungen an Pflanzen auch natürlicherweise auftreten können, dann dürfen solche Gewächse keiner zusätzlichen Regelung unterliegen“, argumentiert Carl-Stephan Schäfer, Geschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Pflanzenzüchter.

Doch die Gegner sind skeptisch. „Man muss ja Molekular-Scheren in die Zellen reinbringen. Dadurch werden auch schon wieder Sachen verändert und beeinflusst, die man nicht beabsichtigt hat“, sagt die Molekularbiologin Ricarda Steinbrecher, Ko-Direktorin der unabhängigen Forschungseinrichtung EcoNexus im britischen Oxford. Andreas Fisahn, Fach-Jurist an der Universität Bielefeld, sieht noch weitere Risiken: „Was für Menschen nicht unmittelbar giftig ist, könnte trotzdem das Zusammenspiel des Ökosystems als Ganzes stören.“ Für viele ein regelrechter Alptraum, denn die widerstandsfähigen Pflanzen, deren Mutation nie mehr nachweisbar ist, sind in der Lage, durch immer größere Ausbreitung die nicht veränderten Organismen zu verdrängen. Wenn es keine Sicherheitsüberprüfungen und Kennzeichnungspflicht mehr gäbe, wäre der schleichenden Veränderung der Natur kaum Grenzen gesetzt.

Ob die Richter den Forschern also das „Skalpell der Gentechniker“ erlauben, ist offen. Der zuständige Generalanwalt, dessen Votum die EuGH-Juristen häufig folgen, hat empfohlen, Ausnahmen für alle neueren Mutagenese-Verfahren zuzulassen. Die Mitgliedstaaten könnten dann eigene Regeln erlassen. Genau das hat die große Koalition auch so vereinbart. Deutschland wird nach dem Urteil aus Luxemburg wohl über seinen Weg selbst entscheiden.

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