Eine Frau mit Mut zum Risiko

Saarbrücken. Der Ludwigsplatz im schüchternen Morgenlicht, bestückt mit Marktständen von Erzeugern aus der Region - welch eine prachtvolle Freilichtbühne für eine Ministerpräsidentin, die sich auf Plakaten so gerne kuschelig eng hineinschmiegt in den Bürger-Alltag

 Aktenordner und Blumen: Die 38-jährige Kramp-Karrenbauer nach ihrer Vereidigung zur Innenministerin Ende 2000. Foto: Becker&Bredel

Aktenordner und Blumen: Die 38-jährige Kramp-Karrenbauer nach ihrer Vereidigung zur Innenministerin Ende 2000. Foto: Becker&Bredel

Saarbrücken. Der Ludwigsplatz im schüchternen Morgenlicht, bestückt mit Marktständen von Erzeugern aus der Region - welch eine prachtvolle Freilichtbühne für eine Ministerpräsidentin, die sich auf Plakaten so gerne kuschelig eng hineinschmiegt in den Bürger-Alltag. Doch Annegret Kramp-Karrenbauer (49) hat diesen sehr frühen Samstagmorgen anders abgelegt: Pressetermin ja, Posieren und Simulieren nein - beziehungsweise nur für die Fotografin. Treffpunkt 8.30 Uhr an der Staatskanzlei, der Markt liegt sozusagen im Vorgarten. Doch Kramp-Karrenbauer hat unter den Händlern keine festen Anlaufstellen, den Markt kennt sie nur von Stippvisiten. Mitunter, erzählt sie, nutze sie den ruhigen Samstagvormittag zum Aktenstudium. Dann bringe sie zur Freude von Tobias (24), Laurien (21) und Julian (14) die "Überraschungen" für den Speisezettel mit. Das sei ihre Aufgabe, ihr Mann Helmut sei mehr der funktionale Einkäufer. Seit die Kinder da sind, seit fast 25 Jahren also, ist der Bergbau-Ingenieur für das Haushalts-Management zuständig. Keine feministisch-ideologische Rollentausch-Verabredung, sondern Pragmatik. Wer mehr verdiente, sollte Vollzeit arbeiten, der andere seine Arbeitszeiten auf die Kindererziehung abstimmen.Die Ministerpräsidentin schlendert los: Ballerinas, beige Hose, helle Jacke - 1,63 Meter Unauffälligkeit. Keine Stil-Ikone, sondern eine Frau Normalo, die ihre Klamotten eher mal nebenher ersteht, etwa im Saarbrücker Europacenter bei s.Oliver und More & More. Als unkompliziert und uneitel wird sie in Presseberichten charakterisiert. Doch es gibt einen sehr femininen Kern. Den Spaß am modischen Sich-Schön-Machen will sich Kramp-Karrenbauer auch als Regierungschefin nicht nehmen lassen. Sie entzieht sich dem Jackett-Diktat, dem sich fast alle ihre Kolleginnen beugen. Bereits vor Amtsantritt im August hatte Kramp-Karrenbauer die Kilos abtrainiert, die sie zuzulegen befürchtet als Regierungschefin wie einst ihr Vorgänger Peter Müller (CDU). Den Rat der Kanzlerin nimmt sie nicht nur als Diät-Tipp, sondern als taktische Maxime: "Man muss nicht in jedes Schnittchen beißen, das einem hingehalten wird." Diverse Fettnäpfchen hat sich AKK, wie man sie in den Amtsstuben kürzelt, kurz nach ihrem Start in der Staatskanzlei selbst hingestellt. So trug sie etwa bei der Vereidigung keine Strümpfe, das verstimmte die Gralshüter der Etikette. Das vermeintliche Infragestellen der Schuldenbremse in der "Welt" entfachte einen Berliner Proteststurm, mit einer "Heimchen-am-Herd"-Formulierung brachte sie die Frauen auf, und als sie in der "Bunte" bekannte: "Ich finde es schön, Frau zu sein - auch in der Politik", nutzte das ihr Konkurrent Heiko Maas (SPD) zum Tiefschlag: "Selbstverliebt und politikfern" trete AKK auf, als "Bespaßerin" der Gesellschaft.

AKK gibt zu, dass es vom Ministerinnen- ins Ministerpräsidentinnen-Amt mehr war als ein Karriereschritt, nämlich ein "Quantensprung". Sie, die CDU-"Allzweckwaffe", das "fleißige Lieschen", das sich bereits in sieben Ressorts zwischen Innenpolitik, Kultur und Sport eingearbeitet hat, erlebt jetzt eine neue Anforderungs-Qualität: "Zu jeder Uhrzeit kann jemand vor dem Schreibtisch auftauchen und fragen: Was machen wir jetzt? Entscheiden lässt sich aber nicht delegieren." Durch ihren Bruch mit Jamaika im Januar erfolgte wohl der ultimative Reifeprozess: "Dass ich den Mut hatte, auch persönlich voll ins Risiko zu gehen, das hat mich stärker und selbstbewusster gemacht." Auch unabhängiger von Erfolgsdruck. Sollte sie nach der Wahl in die zweite Reihe hinter Maas zurücktreten müssen, dann kratze dies nicht am Ego: "Ich kann mich zurücknehmen." Im konservativen Elternhaus in Püttlingen, zwischen fünf Geschwistern, habe sie gelernt, sich "in die Pflicht nehmen zu lassen." Dort trainierte sie vermutlich auch das, was ihre männlichen Kollegen heute an ihrem Führungsstil schätzen: "Durchsetzungsfähigkeit mit Kooperationswillen" zu paaren und Austausch zum Prinzip des gemeinsamen Fortkommens zu machen. Zu viel Schmusekurs, zu wenig Anführerin? Autorität und Souveränität seien in jeder Führungsposition weiter gewachsen, beobachtet Finanzminister Peter Jacoby (CDU). Tatsächlich scheint das "Learning by doing" Kramp-Karrenbauers Talent. Sie ist nun mal keine Chef-Charismatikerin, vielmehr eine Frau mit Lust am eigenen Wachstum. "Ich absolviere heute noch Seminare zur Kameratauglichkeit in der Konrad-Adenauer-Stiftung", sagt sie, die erstmals 1984 in Püttlingen vom CDU-Bürgermeister Rudi Müller von Tür zu Tür geschickt wurde: "Ich kam mir vor wie eine Staubsaugervertreterin." Danach wollte sie es nicht mehr missen: "Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht." Bis heute empfindet AKK den Wahlkampf nicht als Strafkolonie-Einsatz, sondern erzählt von einem sie täglich vitalisierenden "Sog". Amtshöhe ist ihr fremd: Diese Politikerin möchte zur Bürger-Gemeinschaft dazu gehören, statt sie zu überstrahlen.

Auf dem Markt jedoch ist AKK überraschend in sich gekehrt. Aus dem Bummel macht sie keinen Kult, sucht nicht genüsslich, sondern findet fix: Waldhonig aus Kleinblittersdorf, Quittenmarmelade aus Bischmisheim, Nougat aus Italien. Kauft nur, was sie mitnehmen kann, also nichts Frisches. Denn am Mittag geht's über Frankfurt nach Berlin, zur Bundespräsidentenwahl. Sonst hätte sie, die "Spätberufene in Sachen Oliven", sicher am Stand von Fahad Tahmouresi zugeschlagen. Auch ein Frühlings-Blumen-Arrangement bei "Werner's Blumen" wäre mitgegangen, nach dem sie sich spontan bückt: "Ich dekoriere die Wohnung gerne jahreszeitlich". Seufzer: "Ich komme momentan einfach nicht dazu." Camela Inglisia von "Mangibello" winkt von weitem, macht aus ihrer Begeisterung keinen Hehl: "Ich wünsche Ihnen Glück für Sonntag!", ruft sie. Eine andere Händlerin nutzt die Situation zu einer Grundsatz-Attacke auf Kramp-Karrenbauers in der Pavillon-Affäre mühsam verteidigtes hohe Gut, ihre Glaubwürdigkeit. "Ist Ihnen das nicht peinlich?", geht sie AKK rabiat an, "dass Sie hier nur vor der Wahl auftauchen und sonst nie?" Die auf ein harmonisches Miteinander programmierte Regierungschefin reagiert nicht mit einer routinierten Gegen-Rede, sondern mit Verunsicherung: "Das ist das erste Mal in diesem Wahlkampf, dass mir so etwas passiert." "Holperstart? Das habe ich abgehakt unter Lernen."

Annegret Kramp-Karrenbauer

Zur Person

Quittenmarmelade für die Lieben daheim: Annegret Kramp-Karrenbauer auf dem Wochenmarkt am Saarbrücker Ludwigsplatz. Foto: Iris Maurer

Quittenmarmelade für die Lieben daheim: Annegret Kramp-Karrenbauer auf dem Wochenmarkt am Saarbrücker Ludwigsplatz. Foto: Iris Maurer

Annegret Kramp-Karrenbauer, geboren am 9. August 1962 in Völklingen, tritt im Jahr 1981 in die CDU ein. In Trier und Saarbrücken studiert sie Rechts- und Politikwissenschaften. Seit 1999 ist sie Landtagsabgeordnete, seit Juni 2011 leitet sie die CDU Saar. Ministerin wurde sie erstmals Ende 2000 (Innen und Sport). Kramp-Karrenbauer lebt in Püttlingen, ist verheiratet und hat drei Kinder. ce

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