Eine etwas andere Familie

Die Saaldiener aus Paris und Berlin haben sich im Bundestag gleich gefunden. Bevor es losgeht, machen sie in ihren Fracks Erinnerungsfotos unter dem Bundesadler - dort wo später der Präsident der Assemblée Nationale, Claude Bartolone, zusammen mit dem Hausherrn Norbert Lammert thronen wird, um die Sitzung beider Parlamente zu leiten

Ein Schnappschuss fürs Familienalbum: Frankreichs Präsident Hollande (vorne, 6.v.l.) und Kanzlerin Merkel (vorne, 7.v.l.) posieren im Kreis ihrer Minister. Fotos: dpa

Ein Schnappschuss fürs Familienalbum: Frankreichs Präsident Hollande (vorne, 6.v.l.) und Kanzlerin Merkel (vorne, 7.v.l.) posieren im Kreis ihrer Minister. Fotos: dpa

Die Saaldiener aus Paris und Berlin haben sich im Bundestag gleich gefunden. Bevor es losgeht, machen sie in ihren Fracks Erinnerungsfotos unter dem Bundesadler - dort wo später der Präsident der Assemblée Nationale, Claude Bartolone, zusammen mit dem Hausherrn Norbert Lammert thronen wird, um die Sitzung beider Parlamente zu leiten. Links vom Pult stehen die deutsche und die französische Fahne, rechts die Fahne Europas. Es sieht fast aus wie eine Gleichung: Deutschland plus Frankreich gleich Europäische Einigung.

Im Berliner Regierungsviertel geht es zur Feier des 50. Jahrestages des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages zu wie bei einer Teenager-Party. In jeder Ecke wird geschmust - im übertragenen Sinne. Angela Merkel begrüßt, Küsschen rechts, Küsschen links, François Hollande um halb zehn vor seiner Botschaft am Brandenburger Tor. Zwei Stunden später dann noch einmal zur gemeinsamen Kabinettssitzung im Kanzleramt. Diesmal gibt es nur einen Handschlag. Seit dem Vorabend, als sie in einem Restaurant gemeinsam aßen, sind die beiden per Du.

Auf der Präsidialebene des Bundestages tagen derweil die Präsidien beider Parlamente und sprechen noch einmal die Erklärung durch, die später von den 1000 Volksvertretern gemeinsam beschlossen werden soll. Sie enthält den Aufruf, "die deutsch-französische Zusammenarbeit gerade in Zeiten politischer und ökonomischer Krisen für ein tieferes Zusammenwachsen der Europäischen Union zu nutzen". Die Fraktionen treffen ihre Partnerfraktionen in deren Sitzungssälen unter der Reichstagskuppel. In der französischen Presse wird der Aufwand der Reise von 400 Abgeordneten und des gesamten Kabinetts nach Berlin kritisiert. "Paris-Sause" stand in deutschen Zeitungen.

Aber dieser 50. Jahrestag wird nicht nur eine Feierstunde. Zwar werden in den Reden beeindruckende Zitate bemüht, von Albert Camus bis Winston Churchill, von Victor Hugo bis Richard von Weizsäcker, die alle von den blutigen Kriegen und der Aussöhnung handeln. Aber fast ebenso häufig fallen Begriffe wie Krise, Herausforderung oder Zukunft. François Hollande stellt ein Arbeitsprogramm für die nächsten Jahre vor. Es reicht von der Energiepolitik über Verkehr bis zur Berufsausbildung. Angela Merkel ergänzt es um die Kontrolle der Finanzmärkte und Mali.

Dies ist eine ungewöhnliche Zusammenkunft im Reichstag, man sitzt völlig durchmischt. Aber es gibt, zum ersten Mal bei so einem Festanlass, auch eine Debatte. Abgeordnete dürfen sich melden und reden, allerdings haben sich die Fraktionschefs dieses Recht vorbehalten. Volker Kauder erklärt François Hollande, dass es "keine Bosheit der Bundeskanzlerin gegen Sie ist", wenn sie sich in Brüssel auf Vorbehalte des Bundestages berufe. Man sei stolz auf die Beteiligungsrechte des deutschen Parlaments, sagt der CDU/CSU-Fraktionschef. Bruno le Roux, Chef der sozialistischen Fraktion, ruft eindringlich dazu auf, gemeinsam aus der Krise herauszufinden und sich "nicht in das nationale Schneckenhaus" zurückzuziehen. Sein UMP-Kontrahent Christian Jacob fordert einen neuen "Elysée-Vertrag", weil er will, dass auch seine sozialistische Regierung mehr spart. Das ist ganz im Sinne von Rainer Brüderle (FDP), der auf die historisch begründete Angst der Deutschen vor Inflation hinweist. Nur Gregor Gysi fällt etwas aus dem Rahmen. Er gibt eine teilweise büttenredenhafte Liebeserklärung an Frankreich ab, in deren Verlauf er sich launig über die Qualität des dortigen Frühstücks beschwert. Frank-Walter Steinmeier (SPD) kriegt die Kurve von der Erinnerung an seine erste Reise mit dem "Deux Chevaux" - der Ente - ans Mittelmeer zu den ernsthaften Fragen der aktuellen Finanzkrise etwas eleganter.

Eine Liebeserklärung gibt es auch im Bundesratsgebäude, wo sich die Ministerpräsidenten der Länder mit dem französischen Senat treffen. Europaparlaments-Präsident Martin Schulz wechselt souverän zwischen Deutsch und Französisch. Sein Vater, sagt Schulz, sei nur als Soldat in Frankreich gewesen. "Ich hingegen hatte das Privileg, mit leeren Händen und vollem Herzen zu kommen." Als Austauschschüler. Die meisten Parlamentarier sind sprachlich weniger gewandt. Das merkt man im Bundestag, als zum Schluss der Feierstunde die Nationalhymnen gespielt werden. Nur die wenigsten können beide mitsingen.

Die Plenums-Chefs: Claude Bartolone (l.) und Norbert Lammert.

Die Plenums-Chefs: Claude Bartolone (l.) und Norbert Lammert.

 Bundespräsident Gauck (l.) und Frankreichs Präsident Hollande mischten sich vor der Parlamentsdebatte ein wenig unters Volk.

Bundespräsident Gauck (l.) und Frankreichs Präsident Hollande mischten sich vor der Parlamentsdebatte ein wenig unters Volk.

 Ein Schnappschuss fürs Familienalbum: Frankreichs Präsident Hollande (vorne, 6.v.l.) und Kanzlerin Merkel (vorne, 7.v.l.) posieren im Kreis ihrer Minister. Fotos: dpa

Ein Schnappschuss fürs Familienalbum: Frankreichs Präsident Hollande (vorne, 6.v.l.) und Kanzlerin Merkel (vorne, 7.v.l.) posieren im Kreis ihrer Minister. Fotos: dpa

 Die Plenums-Chefs: Claude Bartolone (l.) und Norbert Lammert.

Die Plenums-Chefs: Claude Bartolone (l.) und Norbert Lammert.

Bundespräsident Gauck (l.) und Frankreichs Präsident Hollande mischten sich unters Volk.

Bundespräsident Gauck (l.) und Frankreichs Präsident Hollande mischten sich unters Volk.

Vor der Besuchertribüne des Bundestages macht eine kleine Gruppe Erinnerungsfotos. Sie sind vom Gymnasium Vorsfelde in Wolfsburg und dem Collège de Cauffry in Nordfrankreich. 20 Jahre lang hat es zwischen beiden Gymnasien einen Schüleraustausch gegeben. Doch jetzt, sagen die Französin Martine Fortané und der Deutsche Roland Beilner, die den Austausch damals initiiert haben, ist die Sache eingeschlafen. "Das ist sehr schade", sagt Fortané. "Aber was will man machen."

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