Eine Bilanz des Versagens "Vertuschen und unter den Teppich kehren ist keine Option"

Trier. Es war ein besonders schlimmer Missbrauchsfall, der Anfang der 70er Jahre für Schlagzeilen sorgte. In der Eifelgemeinde Ehlenz bei Bitburg verging sich ein damals 65 Jahre alter katholischer Priester fast zehn Jahre lang an Messdienern und Kommunionkindern, ehe Polizisten den Gottesmann festnahmen

 Der Missbrauchsbeauftragte des Bistums Trier, Rainer Scherschel (links), und Bischof Stephan Ackermann müssen eine erschreckende Missbauchsbilanz im Bistum verkünden. Foto: Vetter

Der Missbrauchsbeauftragte des Bistums Trier, Rainer Scherschel (links), und Bischof Stephan Ackermann müssen eine erschreckende Missbauchsbilanz im Bistum verkünden. Foto: Vetter

Trier. Es war ein besonders schlimmer Missbrauchsfall, der Anfang der 70er Jahre für Schlagzeilen sorgte. In der Eifelgemeinde Ehlenz bei Bitburg verging sich ein damals 65 Jahre alter katholischer Priester fast zehn Jahre lang an Messdienern und Kommunionkindern, ehe Polizisten den Gottesmann festnahmen. Kurz zuvor hatte der Seelsorger noch einen Stoß selbst gemachter Fotos von nackten Jungs hinter dem Pfarrhaus verbrannt. Das Trierer Landgericht verurteilte den bereits zuvor einschlägig in Erscheinung getretenen Geistlichen später zu einer siebenjährigen Gefängnisstrafe.

Der Fall des Ehlenzer Pastors Franz E. ist einer jener drei Fälle aus den Jahren 1950 bis 1990, die beim Trierer Generalvikariat zumindest aktenkundig sind. Wie auch der des ehemaligen Gerolsteiner und Trierer Kaplans, der in den 60er Jahren ebenfalls womöglich Dutzende Jungs missbraucht haben soll. Der heute 76-Jährige war seinerzeit wegen eines Missbrauchsfalls strafversetzt worden, ohne dass die neue Pfarrei über die Hintergründe informiert wurde. Der Geistliche machte weiter wie zuvor.

Jetzt kommt plötzlich ein Fall nach dem anderen ans Licht und erschüttert die katholische Kirche nicht nur im Bistum Trier in ihren Grundfesten. "Das Ausmaß ist einfach erschreckend", sagt gestern Nachmittag noch einmal der Trierer Bischof Stephan Ackermann.

Der 47-Jährige war unter den Mächtigen im deutschen Klerus mit der Erste, der sich deutlich zu Wort meldete, nachdem Ende Januar die ersten, Jahrzehnte zurückliegenden Missbrauchsfälle an einem Berliner Jesuiten-Gymnasium bekannt wurden. Die Bischofskonferenz machte Ackermann wenig später zu ihrem Missbrauchsbeauftragten. Seitdem jagt ein Termin den anderen.

Am Montagnachmittag stellt der Bischof den angekündigten Zwischenbericht über die Missbrauchssituation in seinem Bistum vor. Es ist, auf einen Nenner gebracht, die traurige Bilanz eines jahrzehntelangen Versagens der katholischen Kirche. Erwachsene Männer und Frauen trauen sich erst jetzt, nach 30, 40 oder mehr Jahren, über die in ihrer Kindheit erlittenen Traumatisierungen zu berichten; begangen von katholischen Priestern.

"Etwa 35 Personen haben sich in den letzten zwei Monaten bei mir gemeldet", sagt Prälat Rainer Scherschel, der Missbrauchsbeauftragte des Bistums. Die Vorwürfe richteten sich gegen 20 Priester, die sich zwischen 1950 und 1990 an Minderjährigen vergangen haben sollen. 17 dieser 20 mutmaßlichen Kinderschänder hatten bislang zumindest laut Aktenlage eine weiße Weste.

Zehn der beschuldigten Geistlichen sind inzwischen verstorben, zwei andere so alt, dass sie kaum noch zur Verantwortung gezogen werden können. Das gilt wohl auch für die restlichen (noch nicht bestraften) fünf Priester, weil die Taten, die ihnen vorgeworfen werden, inzwischen verjährt sein dürften.

Trotzdem hat das Bistum jetzt zwei Geistliche angezeigt, darunter nach Informationen unserer Zeitung auch den ehemaligen Kaplan von Gerolstein. "Wir prüfen jetzt sorgfältig, ob wirklich alle Fälle verjährt sind", sagt Oberstaatsanwalt Thomas Albrecht.

Die Wahrscheinlichkeit, dass einem jener 17 mutmaßlichen Missbrauchs-Priester doch noch der Prozess gemacht wird, ist eher gering. "Vielen Opfern", sagt Missbrauchsbeauftragter Scherschel, "geht es auch weniger darum." Für sie sei es schon von Bedeutung, dass der Bischöfliche Beauftragte ihnen einfach nur zuhöre. "Das Bistum und die Kirche sollen wissen und hören, was passiert ist."St. Wendel. Im seit 1997 geschlossenen Internat des Arnold-Janssen-Gymnasiums in St. Wendel hat es in den 60er und 80er Jahren Missbrauchsfälle gegeben. Das meldet der Schulträger, der Orden der Steyler Missionare. Hinweise auf einen Pater, der verdächtigt wurde, in den frühen 60er Jahren Schüler sexuell missbraucht zu haben, haben sich demnach durch den Bericht eines Opfers bestätigt, das sich beim Orden gemeldet hat. "Das Opfer ist mit uns in Kontakt, möchte aber keine Öffentlichkeit", sagt Pater Bernd Werle, Provinzial der Steyler Missionare in Deutschland. Der mutmaßliche Täter ist verstorben. Er war nach Aufkommen des Verdachtes versetzt worden. Ihm wurden nach Angaben des Ordens Aufgaben übertragen, die ihm den direkten Kontakt zu Kindern nicht mehr ermöglichten.

Der zweite Missbrauchsfall ereignete sich Anfang der 80er Jahre. Der Täter habe sich nach seinem sexuellen Übergriff am Tage danach selbst bei seinen Oberen und der Familie des Opfers gemeldet. Er sei auch versetzt worden. Werle: "Zu weiteren Übergriffen dieses Mitglieds unserer Ordensgemeinschaft an Heranwachsenden ist es, unserer Kenntnis nach, danach nicht mehr gekommen." Eine strafrechtliche Aufarbeitung beider Fälle habe es nicht gegeben.

In einem dritten Fall bittet die Ordensgemeinschaft um Mithilfe. Es gebe einen Hinweis auf sexuellen Missbrauch eines Missionars in den Jahren 1982 bis 1984. Der soll sich beim Nachmittagsstudium des Gymnasiums ereignet haben. An diesem Unterricht nahmen nicht nur Internatsschüler teil. Der anonyme Schreiber weise darauf hin, dass er nicht das einzige Opfer gewesen sei. Der verdächtigte Pater ist verstorben. Die Vorwürfe könnten nur geprüft und das Unrecht aufgedeckt werden, wenn sich der Schreiber oder andere Opfer melden. Dabei sei für den Orden der Schutz der Opfer oberste Maxime. Eventuelle Opfer und Mitwisser des Falles könnten sich selbst an die Hauptstelle der Steyler Missionare wenden oder dies über Dritte tun.

Der Schritt in die Öffentlichkeit ist für Bernd Werle wichtig. "Vertuschen und unter den Teppich kehren ist keine Option. Wir halten eine offene, transparente Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels unserer Geschichte für unerlässlich." Werle unterstreicht: "Als Provinzial fühle ich mich angesichts der Schuld, die Mitbrüder damals auf sich geladen haben, ohnmächtig und beschämt. Ich möchte die Opfer und deren Familien um Vergebung bitten." Der Orden selbst hat mit Aufkommen der ersten Missbrauchsfälle am Canisius-Kolleg der Jesuiten in Berlin Nachforschungen veranlasst. "In den Akten selbst findet sich nichts", so Werle. Hinzu kamen Hinweise von Opfern.

Die Ordensleitung hat den Trierer Bischof und das Lehrerkollegium des Arnold-Janssen-Gymnasiums informiert. "Das Kollegium war bestürzt", beschreibt der Schulleiter, Pater Fabian Conrad, die Reaktion.

Im Arnold-Janssen-Gymnasium unter Trägerschaft der Steyler Missionare werden zurzeit 620 Schüler unterrichtet. Das Internat ist seit 1997 geschlossen, seit 1994 wurden keine Schüler mehr aufgenommen. Hinweise an Pater Bernd Werle, Tel. (0 22 41) 23 72 81, E-Mail: provinzialat@steyler.de

Meinung

Der einzige

Weg

Von SZ-Redakteur

Thomas Schäfer

Wegschauen, vertuschen, verharmlosen - es hat gedauert, bis die Kirche nach immer neuen Missbrauchsfällen verstanden hat, dass genau dies das Schlechteste ist, was sie tun kann. Das mangelhafte Krisenmanagement hat maßgeblich dazu beigetragen, dass das Vertrauen in die Institution Kirche derzeit so erschüttert ist. Die Flucht nach vorn, wie sie gestern das Bistum Trier und die Steyler Missionare angetreten haben, ist in Zeiten der Krise der beste, der einzige Weg. Bemerkenswert ist vor allem der Aufruf der Missionare, dass sich Opfer oder Zeugen melden sollen, um einen ungeklärten Fall aufdecken zu können. Es scheint, dass Teile der Kirche es allmählich ernst meinen mit Offenheit und Aufklärung.

Am Rande

 Der Missbrauchsbeauftragte des Bistums Trier, Rainer Scherschel (links), und Bischof Stephan Ackermann müssen eine erschreckende Missbauchsbilanz im Bistum verkünden. Foto: Vetter

Der Missbrauchsbeauftragte des Bistums Trier, Rainer Scherschel (links), und Bischof Stephan Ackermann müssen eine erschreckende Missbauchsbilanz im Bistum verkünden. Foto: Vetter

In der Debatte um die Missbrauchsfälle in katholischen Einrichtungen hat der Münchner Erzbischof Reinhard Marx vor Pauschalurteilen gewarnt. Insbesondere sei eine differenzierte Beurteilung der Täter nötig, sagte Marx laut einer Kirchenmitteilung gestern in Passau. Beim Priester- und Diakonentag in der Diözese Passau betonte der Münchner Oberhirte, der Zölibat als Form des ehelosen Lebens der Priester könne Segen bringen. Der Passauer Bischof Wilhelm Schraml, der bereits eine öffentliche Vergebungsbitte gesprochen hatte, sieht in den "unfassbaren sexuellen Missgriffen oder Misshandlungen" eine "wirkliche Prüfung" für die Kirche. dpa

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