Hüseyin Gülerce Ein Wendehals bringt viele Türken in Wallung

ISTANBUL In der Türkei genügt mitunter ein falsches Wort oder der zufällige Kontakt zu einem mutmaßlichen Anhänger des Predigers Fethullah Gülen, um ins Gefängnis zu kommen. Doch es gibt auch Leute, die noch vor einigen Jahren ganz offen als Vertreter Gülens agierten, ohne dass sie heute von der Justiz etwas zu befürchten haben. Einer von ihnen ist der Autor Hüseyin Gülerce, 67, der rechtzeitig die Seiten wechselte und vom Gülen-Anhänger zum Gegner des Predigers wurde. Jetzt steht Gülerce im Zentrum eines heftigen Streits.

ISTANBUL In der Türkei genügt mitunter ein falsches Wort oder der zufällige Kontakt zu einem mutmaßlichen Anhänger des Predigers Fethullah Gülen, um ins Gefängnis zu kommen. Doch es gibt auch Leute, die noch vor einigen Jahren ganz offen als Vertreter Gülens agierten, ohne dass sie heute von der Justiz etwas zu befürchten haben. Einer von ihnen ist der Autor Hüseyin Gülerce, 67, der rechtzeitig die Seiten wechselte und vom Gülen-Anhänger zum Gegner des Predigers wurde. Jetzt steht Gülerce im Zentrum eines heftigen Streits.

Für die eine Seite ist Gülerce ein aufrechter Verteidiger des Vaterlandes, für die andere ein gewissenloser Opportunist, der sein Fähnchen in den Wind hängt. Als Zeuge der Anklage hat Gülerce im Prozess gegen die Journalisten der Oppositionszeitung „Cumhuriyet“ eine Aussage zu Protokoll gegeben, mit der er den Vorwurf einer angeblichen Zusammenarbeit zwischen der Zeitung und Gülen bekräftigte. Dabei zählte Gülerce selbst jahrelang zu den engsten Gefolgsleuten Gülens.

Vor dem Bruch zwischen der Gülen-Bewegung und der Regierung des heutigen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan arbeitete Gülerce als Chefredakteur der inzwischen eingestellten Zeitung „Zaman“, die als Sprachrohr der Gülen-Organisation diente. Außerdem war er Chef einer Gülen-nahen Stiftung. Es gibt viele Fotos, die ihn an der Seite des heute 76-jährigen Predigers zeigen. Nach Bekanntwerden von Korruptionsvorwürfen gegen die Erdogan-Regierung im Dezember 2013 mutierte Gülerce zum Feind des Predigers.

Nicht nur Gülerce machte diese Wandlung durch. Auch Erdogan selbst hielt vor einigen Jahren noch Lobreden auf Gülen. Heute sagt der Präsident, er sei Gülen auf den Leim gegangen, habe dann aber die wahren Ziele des Predigers erkannt.

Trotz seiner früheren Nähe zu Gülen bleibt Gülerce seit dem Putschversuch 2016 von der Festnahmewelle unbehelligt, die mehr als 50 000 Menschen ins Gefängnis gebracht hat. Selbst frühere Kollegen bei „Zaman“ und beim Schwesterblatt „Today’s Zaman“, die nie ausgesprochene Gülen-Fans waren, mussten wegen angeblicher Unterstützung des Putsches ins Gefängnis. Darunter sind angesehene Kolumnisten wie der 73-jährige Politologe Sahin Alpay, der trotz seines Alters seit mehr als einem Jahr ohne Prozess hinter Gittern sitzt.

Gegen Gülerce wird nicht einmal ermittelt. Er schreibt eine Kolumne für die regierungstreue Zeitung „Star“ und ist für das Erdogan-Lager ein Held. Gülerce habe den Staat schon seit Jahren mit Insider-Informationen versorgt und dabei wegen der möglichen Rache des Predigers sein Leben aufs Spiel gesetzt, lobte der Journalist Cem Kücük.

Kritiker sehen in Gülerce dagegen einen typischen Wendehals. Der ehemalige Gülen-Vertraute genieße offenbar eine Art Immunität und könne sich sogar als Experte aufspielen, schimpfte der Kolumnist Mehmet Yilmaz in der „Hürriyet Daily News“. Wenn Gülen morgen wieder zu Macht und Ansehen gelangen sollte, stünde Gülerce rasch wieder an der Seite des Geistlichen, schrieb der bekannte Kommentator Fathi Altayli. Gülerce weist dies zurück. Er sieht sich als Opfer einer Kampagne – ganz ähnlich wie Erdogan. Treue zur Regierung ist seit dem Putsch zu einer wichtigen Karrierevoraussetzung  geworden.

Der Streit um Gülerce lenkt den Blick auf das Glaubwürdigkeitsproblem des Erdogan-Lagers beim Umgang mit der Gülen-Bewegung. Schließlich kooperierte die Regierungspartei AKP lange mit Gülens Leuten, um den Machtanspruch der Militärs zu brechen. Noch vor einigen Jahren rief Erdogan den in den USA lebenden Prediger an, um ihn nach einer Krankheit rasche Genesung zu wünschen. Jetzt soll Gülen plötzlich der Bösewicht sein – doch das Bündnis der AKP mit Gülen bis zum Jahr 2013 ist vielen Türken noch sehr bewusst und lässt sich nicht einfach unter den Teppich kehren.

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