Ein Wald der Trauer und der Hoffnung

Berlin · Über hundert Soldaten sind bisher bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr gestorben. Bislang fehlte ihren Angehörigen allerdings ein Ort zum Trauern. Den haben sie jetzt mit der zentralen Gedenkstätte bei Potsdam.

Unter hohen Bäumen bläst ein einsamer Trompeter "Ich hatt' einen Kameraden". Matrosen legen Kränze nieder. Sonnenstrahlen fallen durch das Herbstlaub auf die hölzernen Kreuze. Mit ernstem Gesicht treten Bundespräsident Joachim Gauck und Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU ) nach vorn und ziehen die Schleifen zurecht. Am Tag vor dem Volkstrauertag stehen sie auf dem Gelände der Henning-von-Treskow-Kaserne in Schwielowsee bei Potsdam , wo das Einsatzführungskommando der Bundeswehr seinen Sitz hat. Gemeinsam eröffnen sie die Gedenkstätte für die im Dienst ums Leben gekommenen Bundeswehrsoldaten, den "Wald der Erinnerung". Für viele Angehörige ist es das erste Mal, dass sie die Ehrenhaine sehen. Kameraden getöteter Soldaten haben sie errichtet - an Einsatzorten in Afghanistan und Bosnien-Herzegowina. Einige Einsätze sind inzwischen beendet. Doch die Erinnerungen bleiben - an die Gefallenen, an Schreckensmomente, an die gemeinsame Zeit. Nun haben sie in der Heimat einen Ort bekommen.

Etwa 190 Hinterbliebene der mehr als 100 im Ausland gestorbenen Soldaten waren zur feierlichen Eröffnung zum Einsatzführungskommando der Bundeswehr gereist. Es ist die Nahtstelle für Auslandseinsätze. Von hier kommt der Befehl, hier kommen als erstes Schreckensmeldungen ein. Jetzt wird dort derer gedacht, die ihr Leben ließen. Wüstengelbe Ziegelsteine, die Soldaten im Feldlager Kunduz einst zur Erinnerung an ihre gefallenen Kameraden errichteten. Bronzene Plaketten mit ihren Namen darauf: Sergej Motz, Florian Pauli, Mischa Meier.

Für Soldaten im Einsatz seien die Ehrenhaine das emotionale Herzstück jedes Camps. Weswegen die Bundeswehr auf Wunsch der Kameraden und der Angehörigen der Gefallenen die Ehrenhaine beim Verlassen der Feldlager mit nach Deutschland nahm. "Orte wie dieser, an die sich so authentische Erinnerungen bilden, kann man nicht einfach abbauen wie ein Feldlager ", sagt von der Leyen. "Sie müssen bleiben." Hier sei es greifbar, was es bedeute, Soldaten in den Auslandseinsatz zu schicken.

Der erste Soldat, der bei einem Auslandseinsatz ums Leben kam, war Alexander Arndt. Der Sanitätsfeldwebel wurde am 14. Oktober 1993 in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh erschossen. Seitdem haben sich die Bundeswehr und ihre Einsätze radikal verändert. 104 deutsche Soldaten sind bislang bei Einsätzen im Ausland getötet worden, 55 davon in Afghanistan. Seit Gründung der Bundeswehr 1955 seien bislang mehr als 3200 Soldaten im Dienst oder an Folgen ihrer Einsätze gestorben, hieß es.

Der Name des damals 26-jährigen Arndt ist der erste, der auf einer von bislang sieben Stelen mit den Namen der Gefallenen steht. Es gibt Platz für weitere Stein-Säulen entlang des "Weges der Erinnerung", der über einen "Ort der Stille" zu einer Anhöhe führt, wo die Ehrenhaine fast im Original errichtet wurden.

Der Standort ist nicht unumstritten. Kritiker forderten eine zentrale Gedenkstätte in der Bundeshauptstadt. Die Initiative "Netzwerk der Hilfe" hatte 2012 den Anstoß für den "Wald der Erinnerung" nach Vorbild eines Friedwaldes gegeben. Parallel dazu suchten Bundeswehr und Politik nach einem Konzept für die Ehrenhaine nach Beendigung des Einsatzes. "Hier kamen zwei Linien zusammen", schilderte Generalleutnant Hans-Werner Fritz, der Befehlshaber des Einsatzführungskommandos.

"Trauer hat viele Facetten", verteidigt von der Leyen den abgelegenen Ort. Hinterbliebene betonen, dass der Ort ihren Wünschen entspricht. "Wir wurden von Anfang an miteinbezogen", betonte Marlis Böken .

Die Mutter der Matrosin Jenny Böken , die im September 2008 nach einem Sturz vom Segelschulschiff "Gorch Fock" ertrank, pflanzte mit von der Leyen eine junge Eiche. Ein Baum in dem Areal, das einem Friedwald ähnelt, trägt eine Plakette mit dem Namen ihrer Tochter. In dem Bereich können es ihr Angehörige aller im Dienst gestorbenen Soldaten gleichtun. "Das ist der Beginn einer neuen Erinnerungskultur", sagt Böken . "Hier schlagen jetzt die Herzen aller Toten zusammen."

Meinung:

Die angemesseneAnteilnahme fehlt

Von SZ-RedakteurPeter Seringhaus

Auf den ersten Blick mag der Ehrenhain abgelegen erscheinen. Ein zentraler Ort der Erinnerung in der Bundeshauptstadt hätte den gefallenen deutschen Soldaten eine höhere Aufmerksamkeit geschenkt. Wenn es nun zutrifft, dass eben dieser Ort mit den Angehörigen der in Auslandseinsätzen getöteten Soldaten abgestimmt wurde, dann war die Entscheidung für das Gelände bei Potsdam richtig.

Was allerdings nicht ausschließt, auch anderenorts der Toten und Verwundeten zu gedenken und damit die Gefahren der Einsätze in die Öffentlichkeit zu rücken. Denn seit Beginn der militärischen Operationen liegt ein Mantel des Schweigens über den Schicksalen der Soldaten, die ihre Familien, Freunde und Verwandten nie wiedersehen. Zu oft wird ausgeblendet, dass die Uniformträger ihr Leben im Auftrag unseres Landes aufs Spiel setzen. Da darf schon von vielen Seiten mehr Anteilnahme erwartet werden.

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