Ein stolzes Land: Chile feiert seine 33 HeldenGerettete Kumpel sind jetzt erst einmal arbeitslosIn vielen Ländern ist Grubenarbeit sehr gefährlich

San José. Chiles Präsident trug dick auf, aber was Sebastián Piñera aussprach, haben viele Menschen in Chile und aller Welt tatsächlich empfunden, als die verschütteten Kumpel nach mehr als zwei Monaten unter der Erde einer nach dem anderen ans Tageslicht zurückkehrten: "Wir haben eine magische Nacht erlebt, in der das Leben den Tod besiegt hat

San José. Chiles Präsident trug dick auf, aber was Sebastián Piñera aussprach, haben viele Menschen in Chile und aller Welt tatsächlich empfunden, als die verschütteten Kumpel nach mehr als zwei Monaten unter der Erde einer nach dem anderen ans Tageslicht zurückkehrten: "Wir haben eine magische Nacht erlebt, in der das Leben den Tod besiegt hat." Und mit großem Stolz fügte er gestern hinzu: "Das Land ist jetzt viel geeinter geworden, geachtet und beliebt in aller Welt."

Wochenlang lebten die Bergleute in der Furcht, in mehr als 600 Metern Tiefe lebendig begraben zu sein. Umso größer war die Freude der 33 Kumpel darüber, dem Tod von der Schippe gesprungen zu sein. Die Geschichte von den Helden der Tiefe, die weder aufgaben noch aufgegeben wurden und so ein zweites Leben errangen, ähnelt einem Märchen. Sie rührte selbst hartgesottene Journalisten der britischen Boulevardzeitung "Sun", die wie Hunderte andere Reporter zum Bohrloch in der Atacama-Wüste geeilt waren.

Als Luis Urzúa als letzter Kumpel in der Nacht zum Donnerstag aus der Rettungskapsel "Fénix 2" kletterte, gab es noch einmal viel Jubel. Die meisten der 33 Bergleute waren da schon per Hubschrauber in ein Krankenhaus der nahegelegenen Stadt Copiapó geflogen worden. Präsident Piñera hatte bis zum Schluss am Bohrloch jeden Geretteten einzeln begrüßt.

Im 200. Jahr der Unabhängigkeit des südamerikanischen Landes von Spanien kam das Drama mit Happy End wie gerufen. Die Rettung wirkt als Kitt für die unter der Oberfläche stets fragile Einwanderergesellschaft. Dass seine Regierung das Grubendrama zu einem glücklichen Ende führte und alle Kumpel heil heraufholte, hat auch Piñeras Popularitätswerte kräftig nach oben getrieben. Die Bilder, auf denen der konservative 60-Jährige Bergmänner, Ehefrauen und Kinder herzt, kommen gut an bei seinen Landsleuten. Piñera wird daheim oft mit dem italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi verglichen. Auch er ist ein steinreicher Unternehmer, den es in die Politik zog. Bergbauminister Laurence Golborne, bis zum Unglück am 5. August der Mr. Nobody im Kabinett, wurde zum beliebtesten Politiker. Nun ist er sogar als Nachfolger von Piñera im Gespräch.

Was in der verständlichen Freude über die Rettung der Bergleute etwas untergeht, ist die im liberalen Musterland Chile eher nachlässige staatliche Kontrolle über den Bergbau, für die Piñeras unternehmerfreundliche Politik verantwortlich gemacht wird. Das soll sich nach Piñeras Willen jetzt ändern. "Wir werden dafür sorgen, dass Chilenen nie wieder unter so gefährlichen und unmenschlichen Bedingungen wie in der Mine San José arbeiten müssen", versprach der Staatschef nach einem Besuch der Geretteten im Krankenhaus. Die Gold- und Kupfer-Mine in der Atacama-Wüste bleibe auf jeden Fall geschlossen, bis sie sicher sei. Zugleich kündigte der Präsident schärfere Arbeitsschutzgesetze für alle Wirtschaftszweige an und eine Verdreifachung des Budgets der staatlichen Minenaufsicht.

Ein Angehöriger der Kumpel in San José, der seinen Namen lieber nicht erwähnt haben möchte, sagt: "Die mittleren privaten Minen hier sind alle sehr ähnlich, vor allem auch, was ihre Gefährlichkeit angeht. Es werden nur zu schmale Stützen stehen gelassen, und die Zwischendecken zwischen einzelnen Stollen sind auch zu dünn." So bekomme man natürlich mehr Kupfer aus einem Berg, aber es steige auch die Gefahr von Einstürzen, sagt der Mann, der selbst Bergarbeiter ist.

Jetzt aber wollen die Familienangehörigen erst einmal mit ihren "wiedergeborenen" Männern, Brüdern und Söhnen feiern und vor allem auch in Ruhe gelassen werden. "Ich habe hier so lange wie auf dem Präsentierteller gesessen. Ich will nach Hause, will Privatheit und nicht mehr von hunderten Journalisten beobachtet werden", sagte Maria Herrera, deren Bruder gerettet wurde.San José. Nach ihrer spektakulären Rettung stehen die 33 chilenischen Bergleute vor einer ungewissen Zukunft: Der Betreiber der Unglücksmine steht vor dem Bankrott, sein Vermögen wurde auf Betreiben der Regierung eingefroren. Die Kumpel bekommen noch ihren Lohn für September - dann ist es vorbei. 2000 Dollar für jeden von ihnen will ein anonymer Unternehmer spenden, 10 000 Dollar pro Kopf hat der exzentrische Millionär Leonardo Farkas zugesagt. Zudem haben die Familien den Minenbesitzer auf zwölf Millionen Dollar Entschädigung verklagt - doch noch hat das Gericht nicht entschieden, und selbst danach ist unklar, ob sie jemals Geld sehen werden. Einzige fast sichere Einnahmequelle ist das Geld aus dem Verkauf der geplanten Bücher und Filme über das Erlebte.

Ihr einziges Arbeitsangebot stammt von einer der Minen von Farkas, die ebenso wie die nun verschüttete Gold- und Kupfermine in der Region Copiapó liegt. Einige der Kumpel haben angekündigt, dass sie wieder einfahren werden. afp

Berlin. Bergleute haben vielerorts ein gefährliches Arbeitsleben. Mindestens 12 000 Kumpel kommen nach Schätzungen der Internationalen Föderation der Chemie-, Energie-, Bergbau- und Fabrikarbeitergewerkschaften (ICEM) jährlich bei ihrer Arbeit ums Leben. Dazu kommen zahlreiche Bergleute, die sich verletzen oder erkranken. Schuld daran sind oft eine mangelhafte Ausrüstung und gravierende Sicherheitsmängel.

Die meisten tödlichen Bergbau-Unglücke gibt es in China. Experten gehen von mehreren tausend Toten im Jahr aus. Viele beklagen, dass es dort weit billiger sei, die Familie eines toten Bergmanns zu entschädigen, als in die Sicherheitsausrüstung zu investieren. Korruption und Vetternwirtschaft von Grubenbesitzern und Behörden verhinderten eine wirksame Aufsicht. Nach Angaben der ICEM arbeiten Bergleute in vielen Ländern unter lebensbedrohlichen Bedingungen. In vielen Minen gebe es nur einen Ausgang und keine Geräte, die etwa die Ausbreitung von Gas feststellen. Häufig verhinderten Arbeitgeber und Regierungen zudem eine gewerkschaftliche Organisation der Bergleute.

Die Sicherheitsbestimmungen in deutschen Bergwerken sind nach Ansicht der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) weltweit vorbildlich. Hierzulande seien Unglücke "weitestgehend ausgeschlossen", sagte IG-BCE-Vizechef Ulrich Freese. dpa

"Wir werden dafür sorgen, dass Chilenen nie mehr unter so gefährlichen Bedingungen arbeiten müssen."

Chiles Präsident Sebastián Piñera

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