Ein stinknormaler Präsident"Dracula" gegen den "Immigrationisten"

Paris. Carla Bruni hatte die Journalisten vorgewarnt. "Wenn mein Mann besiegt wird, ist es das Ende eures Metiers. Was wollt ihr denn schon über den anderen erzählen?" Dann wurde ihr Mann Nicolas Sarkozy tatsächlich abgewählt und "der andere" kam dran: François Hollande, blasser und uncharismatischer als sein Vorgänger

Paris. Carla Bruni hatte die Journalisten vorgewarnt. "Wenn mein Mann besiegt wird, ist es das Ende eures Metiers. Was wollt ihr denn schon über den anderen erzählen?" Dann wurde ihr Mann Nicolas Sarkozy tatsächlich abgewählt und "der andere" kam dran: François Hollande, blasser und uncharismatischer als sein Vorgänger. Irgendwie normaler - und genau daraus macht er sein Markenzeichen. Mit der Ankündigung, "ein normaler Präsident" zu sein, hatte sich Hollande im Wahlkampf viel Hohn eingehandelt. "Haben Sie schon viele Frauen sagen hören, ich bin total verrückt nach einem ganz normalen Typen?", spottete sogar Sarkozy. Das war vor dem Machtwechsel.Seither tut Hollande alles, um seine Versprechen einzuhalten; die symbolischen und kostengünstigen zuallererst. Noch immer befindet er sich im Wahlkampf, denn am 10. und 17. Juni wählen die Franzosen die Zusammensetzung der Nationalversammlung, der ersten Kammer des Parlamentes. Nur wenn die Linke gewinnt, kann der Sozialist ungestört seine Politik umsetzen. Umso konsequenter gibt er den Anti-Sarkozy, der am Boden bleibt. So hat er schließlich schon einmal gesiegt. Sarkozys Zur-Schau-Stellung seines Privatlebens, seine Kontakte zum Geldadel und Vorliebe für protzige Statussymbole brachten ihm den Beinamen "Bling-Bling-Präsident" ein. Also feierte Hollande seinen Wahlsieg im Provinzstädtchen Tulle und nicht wie Sarkozy im Schickimicki-Restaurant "Fouquet's" auf der Prachtmeile Champs-Élysées.

Zur Amtseinführung ließ der Sozialist nicht seine gesamte (Patchwork-)Familie im Elysée-Palast auflaufen, sondern kam nur mit seiner Lebensgefährtin Valérie Trierweiler. Hatte sich sein Vorgänger das Gehalt um 170 Prozent erhöht, kürzte es Hollande sich und seinen Ministern um 30 Prozent. Und statt des ständigen medialen Feuerwerks à la Sarkozy setzt er auf Diskretion.

Besonders symbolträchtig sind die Fortbewegungsmittel für ihn und die Regierungsmitglieder, die er zum Zugfahren anhält oder zum Nutzen von Billig-Airlines, wie beim Besuch von Außenminister Laurent Fabius in Berlin. Während Sarkozy mit seinem A 380, auch "Air Sarko One" genannt, zu Terminen einschwebte, nimmt Hollande stundenlange Zug- und Autofahrten auf sich. An seinem eng getakteten Zeitplan zeigen sich aber auch die Grenzen dieser Taktik: Nun wurde sein Auto mit bis zu 180 Stundenkilometern auf der Autobahn erwischt - erlaubt sind 130. Der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit rechtfertigt das auf seine Weise: "Wenn er zu schnell fährt, ist das normal: Das machen 80 Prozent der Franzosen."

Die Personenschützer stellt Hollandes Besessenheit von einem "normalen" Leben auch in einer "unnormalen" Funktion vor Schwierigkeiten: Sein Wunsch, weiterhin im bürgerlichen 15. Arrondissement von Paris zu wohnen, setzt erhebliche Sicherheitsvorkehrungen voraus. Kritiker halten Hollandes Vorgehen für übertrieben, populistisch und reine Show. Wie lange die Franzosen die Normalitäts-Debatte amüsiert, scheint ebenfalls fraglich: Bislang wollten sie einen Präsidenten mit erhabener Statur, der sich von der Masse abhebt, als Repräsentant der Größe Frankreichs. Doch Hollandes Strategie scheint aufzugehen. Laut Umfragen stiegen seine Zustimmungswerte auf 62 Prozent. Ebenso viel hatte Sarkozy zu diesem Zeitpunkt nach der Wahl - eine Gemeinsamkeit gibt es also doch.Paris. Besonders spannend wird es am Sonntag bei den "Sch'tis", den Bewohnern des nordfranzösischen Départements Pas-de-Calais, in Deutschland bekannt durch den Filmerfolg "Willkommen bei den Sch'tis". Im Wahlkreis der Stadt Hénin-Beaumont tritt bei den französischen Parlamentswahlen "Dracula" gegen den "verrückten Immigrationisten" an - so betiteln sich Rechtspopulistin Marine Le Pen und Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon gegenseitig. Le Pen, die ihren Front National zum ersten Mal seit 14 Jahren wieder in die Nationalversammlung führen will, rechnete sich gute Chancen aus in ihrer nördlichen Hochburg, einer traditionell links wählenden einstigen Bergbauregion, wo die Arbeitslosigkeit bis zu 20 Prozent erreicht und viele inzwischen zur Le Pen-Partei getrieben hat. Bis der charismatische Mélenchon überraschend seine Kandidatur erklärte, um ihre Wahl zu verhindern.

Hat der Linksfront-Chef bei der Präsidentschaftswahl nur 11,1 Prozent der Stimmen geholt gegenüber Le Pens 17,9 Prozent, so sagen ihr Umfragen zwar einen Wahlsieg bei der ersten Runde am Sonntag voraus, aber eine Niederlage im zweiten Durchgang am 17. Juni. Umso erbitterter wird gestritten. Wer mehr als 12,5 Prozent der Stimmen erhält, zieht in die zweite Runde am 17. Juni ein. Der Showdown der Populisten bringt Farbe in einen ansonsten blassen Wahlkampf. Nachdem die Präsidentschaftskandidaten monatelang um ihre Gunst buhlten, herrscht bei den französischen Wählern Überdruss. Und doch steht für alle Parteien viel auf dem Spiel bei der Entscheidung über die Zusammensetzung der Nationalversammlung, der ersten und bedeutenderen Kammer des Parlamentes, wo derzeit noch die Rechts-Konservativen überwiegen. Vor allem auch für den neu gewählten Präsidenten François Hollande: Nur mit einer linken Mehrheit der insgesamt 577 Sitze kann er frei und ohne Blockade regieren. Momentan sieht es ganz danach aus: In der Allianz mit dem grünen Bündnis "Europa Ökologie - Die Grünen" und diversen linken Parteien überflügeln die Sozialisten laut Umfragen im ersten Wahlgang am Sonntag die bürgerliche UMP und deren konservativ-rechte Partnerparteien.

Somit steht Hollande wohl keine Kohabitation bevor, also die oftmals mühselige Zusammenarbeit mit einem konservativen Regierungschef. Der Senat als zweite Parlamentskammer ging bei den Wahlen im Herbst bereits an die Linke. Kann Hollande demnächst mit komfortabler Mehrheit regieren, wird er wohl nach den Wahlen die Franzosen mit unangenehmen Wahrheiten konfrontieren. Nur bei Wohlfühl-Maßnahmen wie der Erhöhung des Mindestlohns und Begrenzung der Mietpreise wird es nicht bleiben. hol

Meinung

Entscheidende Wahl

Von SZ-MitarbeiterinBirgit Holzer

Nach Monaten mit Wahlkampagnen, die mit dem Präsidentschaftsvotum Anfang Mai ihren Höhepunkt fanden, reißen die Parlamentswahlen kaum noch einen Franzosen mit. Und doch ist die Zusammensetzung des Abgeordnetenhauses entscheidend für die Möglichkeiten des neuen Präsidenten Hollande. Nur eine linke Mehrheit erlaubt ihm, seine Ankündigungen durchzusetzen. Sollte er auf die Unterstützung der Grünen und der Linken angewiesen sein, wird wohl gerade der Beschluss von Sparmaßnahmen schwierig, die dennoch unumgänglich sind angesichts Frankreichs angespannter wirtschaftlicher Lage. Im Falle eines Sieges der Konservativen und "Kohabitation" wird gar eine Lähmung befürchtet. Danach sieht es aber nicht aus. Die Franzosen wählten Hollande in die Verantwortung. Zu einer Kohabitation kam es bislang nur, wenn es galt, die aktuelle Regierung nach Jahren abzustrafen. Nun folgen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen zeitnah aufeinander. Danach endet endlich der Wahlkampf - und das Regieren kann beginnen.

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