Ein Spiel auf Zeit

Vancouver. Um am Montag nicht von der Opposition gestürzt zu werden, hat der kanadische Premierminister Stephen Harper (Foto: rtr) den Betrieb des Parlaments bis 26. Januar aussetzen lassen

Vancouver. Um am Montag nicht von der Opposition gestürzt zu werden, hat der kanadische Premierminister Stephen Harper (Foto: rtr) den Betrieb des Parlaments bis 26. Januar aussetzen lassen. Die kanadische Generalgouverneurin Michaelle Jean, Repräsentantin der britischen Königin in Kanada, die formelles Staatsoberhaupt ist, hatte am Donnerstag in Ottawa einem entsprechenden Gesuch Harpers stattgegeben. Die drei Oppositionsparteien reagierten mit Empörung auf diese in Kanada höchst ungewöhnliche Maßnahme. "Zum ersten Mal läuft in Kanada ein Premierminister vor dem Parlament davon", erklärte der liberale Oppositionsführer Stephane Dion. Die Liberalen und die sozialdemokratische NDP hatten sich bereits auf eine neue Koalitionsregierung geeinigt, die vom separatistischen Bloc Quebecois unterstützt wird. Diese drei Parteien zusammen bilden eine Mehrheit im Parlament. Sie wollten den konservativen Regierungschef Harper und sein Minderheitskabinett am Montag in einer Vertrauensabstimmung stürzen. Aber der 49-jährige Harper, der auf Zeit spielt, machte ihnen mit der Aufhebung des Parlamentsbetriebs vorerst einen Strich durch die Rechnung. Der NDP-Parteivorsitzende Jack Layton nannte Harpers Vorgehen ein Ränkespiel: "Das ist ein Angriff auf die Demokratie." Die Konservativen hoffen dagegen, dass die links-liberale Koalition in den kommenden sechs Wochen an internen Spannungen zerbrechen wird. Harper beabsichtigt Ende Januar einen Haushaltsplan vorzulegen, der auch die Vorschläge der Opposition berücksichtigen soll, die ein Konjunkturpaket für die Belebung der Wirtschaft in der Höhe von 20 Milliarden Euro für nötig hält. "Die Regierung ist bereit, einen Dialog mit den anderen Parteien zu führen", erklärte Harper, der den Zorn der Opposition auf sich gezogen hatte, weil er staatliche Zuschüsse für die Parteien streichen wollte. Alle Oppositionschefs erklärten, sie hätten weiterhin kein Vertrauen in Harper. So ist damit zu rechnen, dass Ende Januar erneut eine Vertrauensabstimmung verlangt wird und Kanada vor derselben verworrenen Situation steht wie heute. Die Konservativen kämpfen vor allem mit dem Argument, dass die links-liberale Koalition vom separatistischen Bloc Quebecois unterstützt wird, der für die Ablösung Quebecs eintritt. Politische Experten zweifeln, ob es Harper gelingen wird, Brücken im Parlament zu schlagen. Meinung

Auf Biegenund Brechen

Von SZ-MitarbeiterinBernadette Calonego Was ist nur los mit Kanada? Ein Land, das immer stolz auf seine politische Stabilität war, erlebt eine Krise nach der andern. Schuld daran ist vor allem der konservative Premierminister Stephen Harper. Statt wie der designierte US-Präsident Barack Obama Brücken über die Parteigrenzen hinweg zu schlagen, geht er stets auf Konfrontation. Harper, der einer Minderheitsregierung vorsteht, will seiner Partei auf Biegen und Brechen eine Mehrheit im Parlament verschaffen. Mit seiner rücksichtslosen Art hat der Regierungschef aber genau das Gegenteil bewirkt. Der Zorn wächst in allen sechs Zeitzonen seines Landes. Wenn Harper nicht schnell und gründlich aus diesem Scherbenhaufen lernt, dürften ihm die frustrierten Kanadier bei der nächsten Gelegenheit die Tür weisen.

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