Ein Reißwolf, sieben Akten und viele offene Fragen

Berlin. Wenn es in einem Punkt Klarheit gibt in der merkwürdigen Reißwolf-Affäre, dann ist es dieser: Die Vernichtung sensibler Akten zu Rechtsextremen hat das Bundesamt für Verfassungsschutz bis ins Mark erschüttert. "Die Brisanz ist sofort klargewesen", sagt ein Beamter. Die Rede ist von einer "kapitalen Fehlleistung" und einem "idiotischen Handlungsimpuls"

Berlin. Wenn es in einem Punkt Klarheit gibt in der merkwürdigen Reißwolf-Affäre, dann ist es dieser: Die Vernichtung sensibler Akten zu Rechtsextremen hat das Bundesamt für Verfassungsschutz bis ins Mark erschüttert. "Die Brisanz ist sofort klargewesen", sagt ein Beamter. Die Rede ist von einer "kapitalen Fehlleistung" und einem "idiotischen Handlungsimpuls". Die Führungsebene sei "stinksauer". Der Zorn gilt einem Referatsleiter, gegen den nun ermittelt wird. Über allem aber schwebt die Frage: Hat der Verfassungsschutz etwas zu verbergen?Im Zentrum der Affäre steht die Vernichtung von sieben Akten im Zusammenhang mit der "Operation Rennsteig", mit der der Bundesverfassungsschutz zwischen 1997 und 2003 gemeinsam mit dem Thüringer Verfassungsschutz und dem Militärischen Abschirmdienst Informanten bei thüringischen Rechtsextremen anwarben. Der Vertuschungsverdacht, dem sich der Verfassungsschutz nun ausgesetzt sieht, ergibt sich vor allem aus der zeitlichen Abfolge der Aktenvernichtung.

Anfang November 2011 war die Mordserie der thüringischen Neonazi-Zelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) bekannt geworden. Der Verfassungsschutz erließ nach eigenen Angaben am 10. November die interne Anordnung, alle Unterlagen auf Hinweise zur NSU zu prüfen. Am 11. November übernahm der Generalbundesanwalt die Ermittlungen. Am 12. November dann ließ der Referatsleiter die sieben Akten vernichten. Nicht nur die Spitze des Verfassungsschutzes stellt sich nun die Frage: Warum?

"Ganz offensichtlich hat der Bundesverfassungsschutz viel zu verbergen", lautet die Antwort der Linken-Abgeordneten Petra Pau. "Solche Vorkommnisse machen es schwierig, Verschwörungstheorien überzeugend entgegenzutreten", sagt der SPD-Innenpolitiker Sebastian Edathy. Der Grünen-Abgeordnete Wolfgang Wieland stellt die Frage, ob die Mitglieder der NSU womöglich auf der Gehaltsliste des Verfassungsschutzes standen, weswegen die Akten verschwinden mussten. Der Verfassungsschutz hat eine andere Erklärung: Nach einer ersten Befragung des Referatsleiters sei von einem "instinktlosen Vorgehen", nicht aber von einer bewussten Vertuschungsabsicht auszugehen. Der Mann habe ausgesagt, die Akten vernichtet zu haben, weil die routinemäßige Aufbewahrungszeit von zehn Jahren abgelaufen sei.

Es gebe keine Erkenntnisse, dass die vernichteten Akten einen Bezug zu dem NSU-Trio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe hätten, sagen Verfassungsschützer. Es sei "ziemlich sicher" davon auszugehen, dass in diesen Akten "nichts von Bedeutung zur Bewertung des Gesamtkomplexes" NSU zu finden sei.

Die Aktenvernichtung kam eher zufällig ans Licht. Im Zuge der Vorbereitung des Auftritts von Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm vor dem NSU-Untersuchungsausschuss in der kommenden Woche seien diese Akten angefordert worden, hieß es. Der zuständige Beamte habe zunächst angegeben, sie seien bereits im Januar routinemäßig vernichtet worden. Erst am Mittwoch habe er dann "nach bohrendem Nachfragen", wie es im Amt heißt, zugegeben, dass die Vernichtung erst im November stattgefunden habe - als das ganze Ausmaß der Neonazi-Mordserie klargeworden war. Der Verfassungsschutz arbeitet nun nach eigenen Angaben daran, den Inhalt der vernichteten Akten durch mögliche Querverweise in anderen Akten zu rekonstruieren.

Klar ist eines: Verfassungsschutzchef Fromm muss sich kommende Woche auf scharfe Fragen des Bundestagsausschusses einstellen. Seine Behörde steht wegen der Ermittlungspannen im Zusammenhang mit der NSU ohnehin unter Druck. Nun muss sich Fromm die Frage gefallen lassen, wie ein Referatsleiter monatelang die Amtsspitze in der Frage der Aktenvernichtung an der Nase herumführen konnte.Foto: dpa

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