Türkei Ein Prozess, von dem viel abhängt

Istanbul · Ab heute steht der Deutsche Peter Steudtner in Istanbul vor Gericht. Es geht dabei um elf Schicksale – und die Zukunft der deutsch-türkischen Beziehungen.

 Journalisten und Menschenrechtsaktivisten demonstrierten gestern in Istanbul für die Freilassung von Kollegen, die wegen Terrorverdachts in Haft sitzen. Elf Menschenrechler um den Deutschen Peter Steudtner stehen ab heute vor Gericht.

Journalisten und Menschenrechtsaktivisten demonstrierten gestern in Istanbul für die Freilassung von Kollegen, die wegen Terrorverdachts in Haft sitzen. Elf Menschenrechler um den Deutschen Peter Steudtner stehen ab heute vor Gericht.

Foto: dpa/-

(dpa) Der Menschenrechtler Peter Steudtner wollte im Juli für ein paar Tage nach Istanbul reisen, in der türkischen Metropole sollte er als Referent bei einem Workshop auftreten, der sich unter anderem um digitale Sicherheit drehte. Nach dem Seminar wollte der 45-Jährige zurück zu seiner Familie nach Berlin fliegen. Stattdessen sitzt Steudtner seither unter Terrorverdacht im Gefängnis in Silivri bei Istanbul, wo auch der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel inhaftiert ist. Während Yücel seit acht Monaten auf eine Anklageschrift wartet, kommt in den Fall Steudtner nun zumindest Bewegung: Heute beginnt in Istanbul der Prozess gegen ihn und zehn weitere Menschenrechtler.

Die Staatsanwaltschaft wirft Steudtner und den weiteren Angeklagten „Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation“ beziehungsweise „Unterstützung von bewaffneten Terrororganisationen“ vor. Auch Steudtners schwedischer Kollege Ali Gharavi, der Vorsitzende von Amnesty International in der Türkei, Taner Kilic, und Amnesty-Landesdirektorin Idil Eser sind unter den Angeklagten. Amnesty teilte gestern mit, den Angeklagten drohe wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft bis zu 15 Jahre Haft. Die Anwälte von Steudtner und Gharavi gehen allerdings davon aus, dass ihre Mandanten lediglich der Terrorunterstützung beschuldigt werden, was mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft werden kann.

Steudtner gehört zu mindestens elf Deutschen, die in der Türkei aus politischen Gründen inhaftiert sind und deren Freilassung die Bundesregierung fordert. Sein Fall ist längst zum Politikum geworden, der Verlauf des Prozesses dürfte gewaltigen Einfluss auf das gestörte Verhältnis zwischen Berlin und Ankara haben. Schon die Festnahme von Deniz Yücel und anderer Bundesbürger in der Türkei hatte die bilateralen Beziehungen schwer belastet. Die Inhaftierung Steudtners im Juli brachte das Fass aus Sicht der Bundesregierung zum Überlaufen. Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) brach damals seinen Urlaub ab und kündigte eine Neuorientierung der Türkei-Politik an. Die Reisehinweise wurden verschärft, Berlin beschloss unter anderem eine Blockade weiterer Verhandlungen über die Zollunion zwischen EU und Türkei. Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte die festgenommenen Menschenrechtler zunächst in die Nähe von Putschisten gerückt, später erhob er im Zusammenhang mit dem Fall Steudtner Spionagevorwürfe gegen die Bundesregierung.

Nun bietet der Prozess eine Chance, das zerrüttete deutsch-türkische Verhältnis wieder auf den Weg der Besserung zu bringen. Sollte Steudtner freigelassen werden und nach Deutschland ausreisen dürfen, könnte das den Teufelskreis gegenseitiger Anschuldigungen durchbrechen. Die Tatsache, dass Anklage und Prozessbeginn verhältnismäßig zügig erfolgten, wertet die Bundesregierung immerhin als positives Signal. Alles andere als eine Freilassung würde die Beziehungen noch tiefer in die Krise stürzen. Schon der erste Prozesstag könnte erste Hinweise geben.

 Der Menschenrechtler Peter Steudtner wurde im Juli in Istanbul festgenommen.

Der Menschenrechtler Peter Steudtner wurde im Juli in Istanbul festgenommen.

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Die Anklage führt zwei Zeugen ins Feld, einer davon war Übersetzer auf dem Seminar. Ihnen zufolge sollen Steudtner und Gharavi unter anderem darüber geredet haben, wie man verhindert, dass Daten in die Hände der Polizei gelangen. Amnesty nennt die Anklageschrift „absurd“, selbst ein regierungsfreundlicher türkischer Jurist bezeichnet sie als „lächerlich“. Dennoch wagt niemand eine Prognose über das Verfahren – erst recht nicht nach dem Auftakt des Prozesses gegen die deutsche Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu vor zwei Wochen. Auch die Vorwürfe gegen sie sind aus Sicht Berlins haltlos. Trotzdem sitzt sie weiter in Haft, und ihr Verfahren wird erst im Dezember fortgesetzt.

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