Jamaika-Sondierungen Ein Pokern bis zum Schluss

Berlin · Die Jamaika-Sondierer CDU, CSU, FDP und Grüne rangen am Wochenende hart um eine Übereinkunft für eine gemeinsame Regierung.

 Die CDU-Chefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel am Rande der Jamaika-Sondierungen in der Landesvertretung von Baden-Württemberg.

Die CDU-Chefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel am Rande der Jamaika-Sondierungen in der Landesvertretung von Baden-Württemberg.

Foto: dpa/Jörg Carstensen

(SZ/dpa) Der Tag hat mit einem Paukenschlag begonnen: In einem Zeitungsinterview rief Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gestern die Verhandler von Union, FDP und Grünen wie unerzogene Kinder zur Ordnung. Dass man in solchen Gesprächen versuche, die Preise hochzutreiben, sei zwar normal, meinte Steinmeier. Aber er erwarte, „dass sich alle Seiten ihrer Verantwortung bewusst sind“. Das Staatsoberhaupt ging noch weiter: „Das heißt auch, den Auftrag nicht an die Wähler zurückzugeben.“

Über Neuwahlen entscheidet der Bundespräsident. Und der machte mit diesen Aussagen überdeutlich, dass er den Parteien diesen Ausweg schwer machen will. SPD-Chef Martin Schulz verschloss derweil den anderen Ausweg, große Koalition, komplett. Dafür stehe seine Partei nicht zur Verfügung, betonte er am Vormittag erneut. „Der Wähler hat die große Koalition abgewählt.“

Doch die Jamaikaner benahmen sich so, als hätten sie den Ernst der Lage nicht begriffen. Nicht einmal über die Frage, ob man am Sonntag definitiv um 18 Uhr fertig werden müsse, konnte man sich zunächst einigen. „Wir drehen uns seit Wochen im Kreis“, fand FDP-Vize Wolfgang Kubicki und forderte ein Ende des Dramas. CSU-Mann Horst Seehofer meinte hingegen: „Ich glaube, wir brauchen ein Stückchen mehr Zeit als bis 18 Uhr.“ Er sollte Recht behalten. „Wir halten auf 17.59 Uhr die Uhren an und führen weitere Gespräche“, sagt Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner kurz vor Ablauf der Frist. Ganz so wie manchmal bei EU-Verhandlungen.

Als es ab Sonntagmittag in der baden-württembergischen Landesvertretung ans Eingemachte ging, pfiffen draußen protestierende Kohlearbeiter aus der Lausitz. Doch der Kohleausstieg war da noch lange nicht beschlossen. Zunächst einigte man sich relativ rasch über die Finanzen, dann kam das strittigste Thema, die Flüchtlingsfrage. Es war schon am Samstag klar geworden, dass Obergrenze und Familiennachzug die entscheidenden Symbolfragen waren, der Flaschenhals für alle anderen Streitthemen. „So lange nicht alles fix ist, ist nichts fix“, sagt CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer abends dazu. Er nannte auch Klima, Energie und Finanzen noch offen.

Für Ärger hatte vor Beginn ein Interview von Jürgen Trittin gesorgt. Der Grüne Ex-Minister sagte darin, der Stopp des Familiennachzuges sei „unmenschlich“. Das empörte die FDP. Ihr Parteichef Christian Lindner hielt die Zeitung mit dem Trittin-Interview bei seiner Ankunft demonstrativ unter dem Arm, und andere FDP-Verhandler ließen Journalisten per SMS wissen, es krisele wegen des grünen Ex-Ministers. „Der schießt das ab, so kann man nicht arbeiten.“

War das die Art von Theaterdonner, die der Bundespräsident gemeint und vor der er gewarnt hatte? Oder ging es hier schon um Schuldzuweisungen? Die Grünen hatten in der Flüchtlingsfrage mit einem Kompromissangebot zunächst für Bewegung gesorgt. Sie boten der CSU deren ersehnte Obergrenze an. Wenn auch in einer weicheren Formulierung. Man werde in einer gemeinsamen Regierung alles tun, um einen „Rahmen“ von 200 000 auch in Zukunft einzuhalten, lautete der grüne Formulierungsvorschlag für das Schlusspapier. Allerdings, beim Familiennachzug müsse es bleiben, das sei eine Frage der Menschlichkeit. Die Grünen seien „an jedem erdenklichen Feld bis an die Schmerzgrenze und darüber hinaus gegangen“, sagte ihr Parteichef Cem Özdemir dazu.

Während die CSU darüber nachzudenken schien, legten sich nun die Liberalen quer. Sie wollte den Familiennachzug für syrische Flüchtlinge mit vorübergehendem Aufenthaltsstatuts mindestens bis zum Inkrafttreten des von ihr geforderten Einwanderungsgesetzes in zwei Jahren ausgesetzt wissen. FDP gegen Grüne, diese Paarung löste im Verlauf des Sonntags immer mehr die bisherige Verhandlungsgegnerschaft von CSU und Grünen ab. Mehrfach wurde die große Runde für Beratungen im engsten Kreis der Parteichefs unterbrochen, die dann wieder zurückgingen in ihre eigenen Führungsgremien, um zu berichten. Immer wieder standen die Gespräche kurz vorm Scheitern.

Gegen 18 Uhr stellte die FDP dann eine Art Ultimatum. Sie habe ein „schlüssiges Paket“ mit ihren Kernforderungen auf den Tisch gelegt und sei fertig mit den internen Beratungen, sagte Generalsekretärin Nicola Beer. Man warte jetzt auf die Entscheidung der anderen Parteien. Das klang nach: Vogel friss oder stirb. Scheitern lag in der Luft. Es wurde sehr hoch gepokert.

Draußen vor den Kameras appellierte CDU-Vize Julia Klöckner derweil, alle müssten „sich zusammenreißen und etwas hinbekommen“. Jeder müsse sich jetzt überlegen, „ob er das große Ganze wegen kleinerer Feinheiten platzen lassen will“. Drinnen setzte man sich erneut zusammen.

Am Ende dürfte die große Frage sein, wie so unterschiedliche Parteien wie CDU, CSU, FDP und Grüne mit teils schwierigen Charakteren in ihren Reihen in einer gemeinsamen Regierung Vertrauen aufbauen können. Der CSU ist das gute Verhältnis von Merkel zu Göring-Eckardt seit Langem suspekt. Wie mag der gewiefte Rechtsanwalt und FDP-Vize Wolfgang Kubicki mit der Theologin auskommen? Und kann Dobrindt mit dem linken Grünen Jürgen Trittin?

Und was macht Schwarz-Gelb-Grün, wenn es mal wirklich ernst wird und eine Handlungsanleitung für ein plötzlich auftauchendes Problem nicht im Koalitionsvertrag steht? Wer nach der Bundestagswahl die Hoffnung hatte, mit Schwarz-Gelb-Grün ziehe ein Schuss exotischer Lockerheit in die deutsche Politik, dürfte längst enttäuscht sein.

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