Ein Plädoyer für die Freiheit

Berlin. Zwei Gäste setzen ein Ausrufezeichen. Kurt Biedenkopf, indem er stumm in der ersten Reihe im Deutschen Theater in Berlin Platz nimmt. Dass ein früherer CDU-Ministerpräsident für den von Rot-Grün vorgeschlagenen Präsidentschaftsbewerber Joachim Gauck wirbt, indem er dessen zentrale Veranstaltung besucht, ist ein Statement für sich, weshalb Biedenkopf mehr auch nicht sagen will

 Joachim Gauck bei seiner Rede im Deutschen Theater. Foto: dpa

Joachim Gauck bei seiner Rede im Deutschen Theater. Foto: dpa

Berlin. Zwei Gäste setzen ein Ausrufezeichen. Kurt Biedenkopf, indem er stumm in der ersten Reihe im Deutschen Theater in Berlin Platz nimmt. Dass ein früherer CDU-Ministerpräsident für den von Rot-Grün vorgeschlagenen Präsidentschaftsbewerber Joachim Gauck wirbt, indem er dessen zentrale Veranstaltung besucht, ist ein Statement für sich, weshalb Biedenkopf mehr auch nicht sagen will. Seine Forderung, Union und FDP sollten den Fraktionszwang in der Bundesversammlung aufheben, wird als Button verteilt: "Gebt die Wahl frei", steht darauf in Schwarz-Rot-Gold.

Das andere Ausrufezeichen kommt von Cornelia Schmalz-Jacobsen, in den 90er Jahren Generalsekretärin und stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP, die genauso demonstrativ in der ersten Reihe sitzt. "Über die FDP, ach, da mag ich öffentlich gar nichts sagen", beginnt sie zunächst zögerlich. Und dann doch: "Kleinmütig, unhöflich und unwürdig ist es, dass die Gauck nicht in die Fraktion eingeladen haben. Jawohl, kleinmütig, unhöflich und unwürdig. Das können Sie schreiben. Das habe ich denen auch gesagt."

Joachim Gauck hat den Kern seiner Fan-Gemeinde um sich geschart, nicht nur die Parteispitzen von SPD und Grünen, die sich artig in die zweite Reihe gesetzt haben, wohl um parteipolitische Zurückhaltung zu demonstrieren. Sondern Fernsehstars wie Leonard Lansink ("Privatdetektiv Wilsberg") und Eckart von Hirschhausen, Schriftsteller wie Peter Schneider und Monika Maron, und Bürgerrechtler wie Gerd Poppe. Die Begrüßung macht Christoph Giesa, der für die 34 000 bei Facebook registrierten Gauck-Unterstützer spricht. Ein Portal, über das Gauck launig sagt, er habe es noch nicht ein einziges Mal aufgemacht. Zu selten, räume er ein, aber andere machten es für seinen Geschmack wiederum zu häufig. Ironie und Selbstironie kann der Mann, schließlich war er in der DDR Pfarrer, bevor er Bürgerrechtler und Chef der Stasi-Unterlagenbehörde wurde.

Und Emotion kann er auch. Stark, wie der 70-jährige Rostocker seinen Freiheitsdrang aus der eigenen Geschichte ableitet, aus den "Angst-Augen" der Erwachsenen in den Bombenschutzkellern. Aus dem kindlichen Gefühl, "da draußen ist es zum Fürchten", als nach dem Krieg die Erwachsenen von den Russen abgeholt werden, "zum Arbeiten oder zum Erschießen". Darunter sein Vater, der für fünf Jahre in Sibirien verschwindet. Stark ist auch, wie er sagt, der Spruch "Wir sind ein Volk" gehöre als Inschrift in jedes deutsche Schulzimmer und in jede Behörde, weil er das Volk "politikmächtig" gemacht habe, weil er für die deutsche Demokratie stehe. So wie "Yes, we can" für amerikanische Zuversicht. Und stark ist, wie er aus dem Kampf um die Freiheit in der DDR ein bedingungsloses Bekenntnis zur parlamentarischen Demokratie herleitet, mit allen ihren Mängeln und Fehlern. Übrigens auch zu den Parteien. Das gefällt in der zweiten Reihe.

In einigen Punkten jedoch redet er quer zu denen, die ihn aufgestellt haben, zu Frank-Walter Steinmeier, Sigmar Gabriel, Claudia Roth und Renate Künast. Etwa als er sagt, dass man wegen der Krise nicht alle Unternehmen schlecht reden solle. Oder bei Afghanistan: Er könne den Einsatz der deutschen Soldaten nicht verurteilen, denn "nicht Verantwortungslosigkeit hat sie geschickt, sondern aus Verantwortung wurden sie geschickt und aus Verantwortungsbereitschaft sind sie gegangen". Kein Wort vom Abzug der deutschen Truppen. Bei den nicht anwesenden Linken dürfte die Frage, ob sie Gauck in einem dritten Wahlgang wählen können, spätestens an diesen Stellen geklärt sein: Nein. Cornelia Schmalz-Jakobsen hingegen fragt sich nun erst recht, warum die FDP ihn nicht einlädt. "Das war doch durch und durch liberal."

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