Ein Parlament im Dämmerschlaf

Berlin · Gestern kam der Bundestag in Berlin zwar zu einer Sondersitzung zusammen, um über die NSA-Affäre zu diskutieren. Doch seit der Wahl im September herrscht weitgehend Stillstand im deutschen Parlament.

In diesen Tagen geht es in den Gebäuden des Bundestages gemächlich zu. Auf den Fluren vor den Abgeordnetenbüros trifft man kaum Menschen, in den Kantinen herrscht wenig Hektik, die Bistros sind oft verwaist. Und an den Ausschuss-Sälen im Paul-Löbe-Haus liest man schon seit Wochen den Hinweis: "Zurzeit keine Sitzung." Das Parlament befindet sich im Dämmerschlaf. Schuld an der vorübergehenden Arbeitslosigkeit sind Union und SPD.

Immerhin - gestern wirkte der Bundestag ein bisschen wie wachgeküsst. Die meisten der 631 Abgeordneten trudelten frühmorgens zu einem der im Moment seltenen Plenar-Tage ein, um Angela Merkels Regierungserklärung zum anstehenden EU-Gipfel und anschließend den NSA-Skandal zu debattieren. Doch danach kehrten sie ihrem Berliner Arbeitsplatz wieder den Rücken. "Es gibt hier nicht viel zu tun", so eine SPD-Frau, die nicht den Koalitionsarbeitsgruppen von Union und SPD angehört. Deren über 200 Mitglieder müssen Schwerstarbeit leisten.

Ansonsten ist das Parlament durch die langwierigen Verhandlungen über eine große Koalition irgendwie lahmgelegt. Das Wort vom "Stillstand" macht unter der Reichstagskuppel die Runde, weil sich zwei Monate nach der Bundestagswahl der 18. Deutsche Bundestag längst konstituiert hat, aber kein parlamentarischer Alltag stattfindet. Es fehlt eine neue Regierung, gestern saßen die FDP-Minister zwar noch einmal auf der Regierungsbank, aber Schwarz-Gelb ist abgewählt, nur noch geschäftsführend im Amt. Und weil das so ist, gibt es keine Gesetzesinitiativen, Anträge, Ausschussberatungen, keine Kontrolle und keine regelmäßigen Debattentage.

Die Opposition ist daher erzürnt: "Union und SPD machen den Bundestag zur Geisel ihrer Koalitionsverhandlung", sagte gestern der stellvertretende Fraktionschef der Linken, Dietmar Bartsch. "Wir alle werden nicht fürs Herumsitzen bezahlt." Grünen-Chefin Simone Peter sagte unserer Zeitung, der Bundestag sei durch die schwarz-roten Verhandlungen "fast ein halbes Jahr außer Kraft gesetzt". Man müsse jetzt dringend nach Lösungen suchen, wie das Parlament trotzdem gestaltend wirken könne. Ein Instrument soll wei ter die Sondersitzung sein: Nach dem Willen der Grünen soll der Bundestag am 28. November die Fortsetzung verschiedener Einsatzmandate der Bundeswehr sowie vom Bundesrat auf den Weg gebrachte Gesetzentwürfe beraten.

Im Gespräch ist aber auch, erste Ausschüsse einzusetzen. Darauf drängt dem Vernehmen nach Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Er plädiert dafür aus gutem Grund: Halten sich Union und SPD an ihren Fahrplan für die Koalitionsbildung, wird es erst kurz vor den Feiertagen die Kanzlerinnen-Wahl geben. Danach geht es in die mehrwöchige Weihnachtspause, am 13. Januar soll dann die erste Sitzungswoche des neuen Bundestages beginnen. Bis dahin wäre also für die Abgeordneten mit Blick auf Berlin weitgehend Däumchendrehen angesagt. Doch während sich die Opposition darüber empört, spielen Parlamentarier aus dem möglichen neuen Regierungslager die Aufregung herunter. Man könne sich über "mangelnde Termine im Wahlkreis nicht beklagen", so ein SPD-Mann. Auch sei man ständig dabei, die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen vor der Basis zu erläutern. Ähnliches war gestern aus der Union zu hören. Manch einer wollte aber auch vielsagend gar nichts sagen - sicher ist sicher.

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