Beto O’Rourke Ein weißer Obama im tiefroten Texas

Corpus Christi · Beto O’Rourke ist ein Hoffnungsträger der Demokraten. In der Hochburg der Republikaner will er Anfang November einen Senatssitz erobern.

 Im Senats-Wahlkampf schüttelt der Demokrat Beto O‘Rourke in ganz Texas viele Hände – hier im Social Club in Edinburg.

Im Senats-Wahlkampf schüttelt der Demokrat Beto O‘Rourke in ganz Texas viele Hände – hier im Social Club in Edinburg.

Foto: AP/Joel Martinez

Ob er auf dem Skateboard auf die Bühne rollt? Das Skateboard-Magazin Thrasher hat Beto O’Rourke eines dieser Bretter auf Rädern zukommen lassen. Ein gediegenes Exemplar, dessen Vorzüge der US-Kongressabgeordnete prompt mit fachmännischen Kommentaren zu würdigen weiß. Mit Skateboards kennt sich der 46-jährige Texaner O’Rourke aus, seit er in der sechsten Klasse sein erstes geschenkt bekam.

Im Wahlkampf um den Einzug in den Senat redet er oft davon, da ist so ein Brett viel mehr als ein Brett, nämlich ein Symbol für eigene Wege. Auf Skateboards, geht seine Erzählung, habe er gelernt, sich nichts und niemandem unterzuordnen, aus eingefahrenen Gleisen auszubrechen, eine Do-it-yourself-Mentalität zu entwickeln. „Keiner bestimmt die Grenzen, an die du dich zu halten hast. Du machst dein eigenes Ding.“ O’Rourke, der Rebell. Im Geiste noch immer Teenager. Jedenfalls lässt er sich nicht lange bitten und rollt tatsächlich auf dem Skateboard auf die Theaterbühne im Del Mar College in Corpus Christi. Ein Schlaks in Jeans und hellblauem Hemd, ein dreifacher Vater mit jungenhaftem Charme, gefeiert wie ein Rockstar.

O’Rourke ist nicht nur leidenschaftlich gern Skateboard gefahren, er hat auch in einer Band Punkrock gespielt. Bis zum Ende des Wahlrennens, auch das ist unkonventionell, will er sämtliche 254 Countys des Bundesstaats Texas mindestens einmal besucht haben. Er fahre auch in Landstriche, die so rot glühten, dass man das Glühen aus dem Weltall sehen könne, scherzt er. Rot ist die Farbe der Republikaner, und wenn ihm die Profis der Politikberatungsbranche entgegnen, dass er mit Ausflügen in tief konservatives Milieu nur seine Zeit verschwende, erwidert er ungerührt: „Aus diesem Grund habe ich keinen politischen Berater in meinem Team.“ Die Parteifarbe, sagt O’Rourke, interessiere ihn nicht, man könne zu jedem einen Draht finden, wie bei einem Rockkonzert vor anfangs skeptischem Publikum. Nur müsse man sich eben anstrengen. „Ich würde ja auch nicht für einen Bewerber stimmen, der sich in meiner Gegend nie blicken lässt.“

Wer weiß, was für ein Riesenstaat dieses Texas ist, dass man beispielsweise elf Stunden braucht, um von O’Rourkes Heimatstadt El Paso nach Houston am Golf von Mexiko zu gelangen, kann ungefähr ermessen, wie viele Stunden der Mann im Auto verbringt. Sitzt er am Lenkrad, allein oder neben einem Assistenten, lässt er sich meist von einer Handykamera filmen, die Bilder sind live bei Facebook zu sehen. Auch an diesem Samstag im Oktober, an dem er Joe Kennedy vom Flughafen von Corpus Christi abholt. Joseph Patrick Kennedy III, wie es exakt heißen muss, ist der Hoffnungsträger einer traditionsreichen Familie, der Einzige aus dem Kennedy-Clan, der zurzeit im Kongress sitzt. O’Rourke weist ihm grinsend den Fahrersitz zu, Kennedy verfährt sich, weil O’Rourke nicht aufgepasst hat. Wie sich die beiden auf die Schippe nehmen, wie locker sie sind, lässt eines erkennen: Wahlkampf kann Spaß machen, auch im aufgeheizten politischen Klima der USA. An einer Ampelkreuzung, witzelt O’Rourke später auf der Bühne, habe er in den ratlosen Gesichtern eines älteren Paares die Frage erahnt: Wer ist dieser Kerl? „Keine Ahnung“, malt er sich die Antwort aus. „Aber wenn ihn ein Kennedy fährt, muss er wichtig sein.“

Am 6. November will der 46-Jährige die Senatswahl in Texas gewinnen. Gelänge ihm das, wäre es ein echter Coup, denn 1988 haben die Texaner zum letzten Mal einen Demokraten in den US-Senat delegiert. Ted Cruz, der republikanische Amtsinhaber, war beim Kandidatenrennen vor zwei Jahren Donald Trumps schärfster innerparteilicher Rivale gewesen. Ein wortstarker Redner, geschult in der Kunst der schnellen Debatte. Stramm konservativ, weiß er das Gros evangelikaler Christen auf seiner Seite, eine Macht, gerade in Texas. Cruz ist und bleibt Favorit – laut „Spiegel Online“ lag er zuletzt in Umfragen mehr als sechs Prozentpunkte vorn. O’Rourke, so hat es John Cornyn zugespitzt, der zweite Senator des Lone Star State, wie Texas auch genannt wird, befinde sich auf einem politischen Selbstmordtrip.

Am Del Mar College fühlt es sich anders an. Im Theatersaal findet sich kein freier Sitzplatz mehr, lange bevor der Kandidat auf die Bühne, nun ja, rollt. „Beto for Senate“ steht auf Plakaten. Kein Familienname, nur Beto. O’Rourke heißt eigentlich Robert, seine Familie hat irische Wurzeln, doch sein spanisch eingefärbter Spitzname klingt interessanter. Kritiker werfen ihm vor, er wolle sich damit bei den Latinos anbiedern.

„Wir richten uns gegen niemanden, und ganz bestimmt nicht gegen eine andere Partei“, ruft der schlaksige Mann. „Jeder von uns ist hier, weil er für etwas ist. Für die Vereinigten Staaten von Amerika.“ Wenn er redet, grundsätzlich frei, rudert O’Rourke auf sympathisch unbeholfene Weise mit den Armen. Bei dieser Wahl, skizziert er die Ausgangslage, gehe es nicht um Nuancen, sondern um Grundsätzliches. Um den Charakter der Nation. Wer man sein wolle, darum gehe es. Doch wohl sicher kein Land, das Kinder an der Grenze von ihren Eltern trenne, wie es auf Anordnung Trumps geschehen sei. „Stellt euch vor, da hat ein kleines Mädchen zweitausend Meilen zurückgelegt, quer durch Mexiko, mal zu Fuß, mal auf dem Dach dieses schrecklichen Zuges, den sie ‚Das Biest‘ nennen. Statt ihm Zuflucht zu gewähren, entreißen wir es den Armen seiner Mutter.“ Und die Mutter werde behandelt wie eine Kriminelle, nur weil sie tue, was jeder andere Mensch an ihrer Stelle auch tun würde. Nur weil sie ein besseres Leben suche. „Was an der Grenze passiert, das sind nicht wir, das kann nicht unser Land sein.“

In seinem Programm fordert O’Rourke strengere Waffenkontrollen, ohne allerdings den privaten Waffenbesitz anzutasten. Er will den staatlich garantierten Mindestlohn auf 15 Dollar pro Stunde anheben, Marihuana legalisieren, bezahlbare Krankenversicherungen für alle. Im Kern aber geht es um die Würde Amerikas.

Edward Costley, ein Restaurantbesitzer, 52 Jahre alt, hat schon für alle möglichen Bewerber gestimmt, für Republikaner, Demokraten, Libertäre. Die Konservativen, sagt er, hätten früher für Ideen gestanden, für freies Business, freien Handel. Bei Trumps Konservativen indes werde jeder Ideenstreit schnell persönlich, mit verbalen Schlägen unter die Gürtellinie, deshalb baue er nun auf O’Rourke. Auf Anstand. Auf den Gegenentwurf. Die Studentin Zoe Perez, 18, erkennt Parallelen zum ersten schwarzen Präsidenten Barack Obama. „Die klare Sprache, das Authentische. Bei beiden hast du nicht das Gefühl, dass sie dir etwas vormachen. Und beide reden von der Hoffnung, nicht von der Angst.“

Anders als Obama ist O’Rourke weiß. Zudem stammt er – anders als der frühere Shootingstar der Demokraten – aus gut situierten Verhältnissen. Er konnte sich ausprobieren, ohne ans Geldverdienen denken zu müssen. Während er an der prestigeträchtigen Columbia University in New York studierte, hat der Sohn eines Richters in einer Punkband namens Foss Bass gespielt. Nach der Uni machte er mal dies, mal jenes, eine Zeit lang transportierte er teure Gemälde für ein auf Kunst spezialisiertes Fuhrunternehmen. Zurückgekehrt nach El Paso, gründete er eine IT-Firma. 2005 wählten ihn die Bürger seiner Stadt in die Gemeindeverwaltung, sieben Jahre darauf ins amerikanische Repräsentantenhaus. Dort profilierte er sich als einer, der auch mit Vertretern der Gegenpartei kann. O’Rourke hofft, übrigens ähnlich wie einst Trump, auf die Stimmen von Menschen, die schon lange kein Wahllokal mehr betreten haben. Vor allem hofft er auf die Jüngeren, die bei den Midtermwahlen der vergangenen Jahre größtenteils zu Hause geblieben waren. Selbst wenn er gegen Cruz verliert, dürfte er als potenzieller Präsidentschaftskandidat des Jahres 2020 im Gespräch bleiben.

 Vor seinem Auftritt in Corpus Christi bekam Beto O’Rourke ein Skateboard geschenkt. Damit rollte er später auf die Bühne.

Vor seinem Auftritt in Corpus Christi bekam Beto O’Rourke ein Skateboard geschenkt. Damit rollte er später auf die Bühne.

Foto: AP/Eric Gay

Harlingen, eine Kleinstadt im Tal des Rio Grande, gut zwei Autostunden von Corpus Christi entfernt. Bevor er auf die Bühne eines Kongresszentrums eilt, beantwortet O’Rourke noch schnell ein paar Journalistenfragen. Warum er glaube, ausgerechnet in Texas gewinnen zu können? „Ich glaube jedenfalls nicht“, sagt er, „dass sich die Leute über ihr letztes Votum definieren lassen“. Texas, schiebt er hinterher, sei bereit, etwas wirklich Großes zu tun.

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