Ein mysteriöses Terror-Trio

München · Er gilt als Jahrhundertprozess. Einen guten Teil der NSU-Morde hat das Gericht aufgearbeitet. Welche Rolle Beate Zschäpe in der Terrorzelle spielte und wie die Gruppe funktionierte, soll das Verfahren ab heute klären.

Stück für Stück, wie aus vielen kleinen Puzzleteilen, entsteht vor dem Oberlandesgericht München ein Bild des "Nationalsozialistischen Untergrunds": ein Bild der Terrorgruppe, der Taten, des Umfelds. Seit 71 Tagen verhandelt der Staatsschutzsenat. Weitgehend aufgearbeitet hat das Gericht die Morde der "Ceska-Serie": Mit der Pistole aus tschechischer Produktion erschossen die Terroristen neun Geschäftsleute ausländischer Herkunft. Die Bilder der blutigen Taten ähneln sich, die Geschichten der Opfer auch: Männer, die aus der Türkei oder Griechenland kamen und mit großem Fleiß versuchten, sich hier ein Leben aufzubauen.

Mittlerweile aber ist der Prozess in eine neue Phase getreten: Das Gericht versucht, das NSU-Umfeld auszuleuchten. Erstaunlich ist, wie sich das Terror-Trio an unterschiedliche Milieus anpassen konnte. Da sind die Nachbarn aus der Frühlingsstraße in Zwickau, die fast jeden Tag bei Alkohol und Zigaretten im Keller beisammensaßen, ein Kreis, in dem sich keiner daran störte, dass auf dem Fernseher ein Bild von Adolf Hitler stand. Beate Zschäpe saß öfter mit in dieser Runde - weit häufiger, als es nötig gewesen wäre, um die Fassade der Gruppe aufrechtzuerhalten. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hielten Abstand, gaben sich unnahbar.

Eine ganz andere Seite lernten die Urlaubsfreunde kennen, die Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt im Sommer auf einem Campingplatz an der Ostsee trafen. Über Jahre hielten sie Kontakt zu den Familien: ein Informatiker-Paar, ein Bauingenieur und eine Drogistin, beide Paare mit Kindern - grundbürgerliche Menschen, denen noch immer das Erschrecken darüber anzumerken ist, mit wem sie es in Wirklichkeit zu tun hatten. Und gerade Mundlos - der dort als "Max" auftrat - zeigte sich sehr kontaktfreudig, suchte immer wieder das Gespräch und kannte sich gut genug mit Computern aus, dass auch die Informatiker ihn für einen Experten hielten.

Gerade das Innenleben des Trios wird das Gericht noch eine Weile beschäftigen. Zschäpes Rolle innerhalb der Gruppe dürfte mitentscheidend sein, ob sie als Mittäterin an den Attentaten verurteilt wird oder nur als Gehilfin. Auch die beiden Bombenanschläge in Köln zum Beispiel, und die Banküberfälle, mit denen die drei ihr Leben im Untergrund finanzierten, sind noch nicht zur Sprache gekommen.

Ab heute geht es aber erstmal um den wohl rätselhaftesten Anschlag des Trios: das Attentat auf eine Polizeistreife in Heilbronn. Laut Anklage schossen Mundlos und Böhnhardt zwei Polizisten, die in ihrem Streifenwagen Pause machten, von hinten in den Kopf. Die Beamtin Michèle Kiesewetter starb am Tatort, ihr Kollege überlebte. Er soll als Zeuge gehört werden.

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