Ein Leben in Zeitlupe
Trier. Laut rasselnd ruft die Gebetsschelle um 5.50 Uhr zur Laudes, dem ersten Gebet des Tages. Die Trierer Benediktinerinnen begrüßen die ersten Sonnenstrahlen über ihrem Kloster als Symbol für Jesus Christus, statt sich von ihnen wecken zu lassen. Der kahle Gang zur Kapelle duftet nach Weihrauch und ist am frühen Morgen noch düster
Trier. Laut rasselnd ruft die Gebetsschelle um 5.50 Uhr zur Laudes, dem ersten Gebet des Tages. Die Trierer Benediktinerinnen begrüßen die ersten Sonnenstrahlen über ihrem Kloster als Symbol für Jesus Christus, statt sich von ihnen wecken zu lassen. Der kahle Gang zur Kapelle duftet nach Weihrauch und ist am frühen Morgen noch düster. "Herr, öffne meine Lippen, damit mein Mund dein Lob verkünde", liest Schwester Mirijam aus dem Gebetbuch vor. Ein goldener Ring funkelt an ihrem Finger, so, wie man es von Menschen kennt, die sich jemandem versprochen haben. Doch in ihrem Leben gibt es keinen Mann, der das Pendant dazu trägt. Durch ihr Versprechen haben die acht Klosterfrauen einen Bund mit Gott geschlossen.
Mit rotem Pullover und blauer Jeans zwischen schwarz-weißen Tunikas, als Single zwischen versprochenen Frauen - mit der Absicht, eine Woche lang in den Alltag der Ordensschwestern einzutauchen. Einen Fußmarsch von nur fünf Minuten ist das Kloster Bethanien vom Stadtzentrum entfernt. Und doch befindet sich hinter den dicken, hellen Mauern eine andere Welt, ein anderer Rhythmus, ein anderer Sinn.
Noch ist das eigene Gepäck, Kleidung und ein MP3-Spieler, im Gästetrakt das einzig Vertraute. Fremd ist die Behausung, fremd der Tagesablauf, fremd der völlig andere, langsame Takt der Klosterfrauen. Jede hat ihre Aufgaben; in der Küche, im Garten oder in der klosterinternen Hostienbäckerei. Das Brot, das Schwester Bernharda dort aus Mehl und Wasser bäckt, erhält erst durch eine weitere Zutat, die Verwandlung während der Eucharistie, seinen besonderen Wert. "Wir glauben, dass Jesus durch die Verwandlung in der Hostie beständig ist", sagt Schwester Arnolda.
Wieder schellt die Glocke, das Geläut hallt durch die Gänge. Das Mittagsgebet unterbricht die Arbeitszeit, vor dem Essen danken die Schwestern für das Gekochte. Mit zum Gebet gefalteten Händen und gesenktem Kopf steht Arnolda im Speisezimmer. Liebevoll ist ihr Schleier mit Stecknadeln an die Cornette auf ihrem Kopf geheftet. Dass sie diese weiße Haube tragen, zeigt an, dass die Nonnen vergeben sind. Der Schleier symbolisiert: Sie sind ewig Braut. "Wir leben mit Gott, er ist unser Bräutigam", erklärt Arnolda. Ihr persönlicher Gottesbeweis? "Es gibt so vieles, das mir sagt, dass es Gott gibt. Wie diese Kastanie hier. Dass aus ihr ein Baum wachsen kann, heißt für mich, dass jemand viel Liebe in sie hinein gesteckt hat." Während des Essens wird nicht gesprochen, die Schwestern lauschen klassischer Musik. So gut das selbst gemachte Apfelmus auch schmeckt: Maß halten ist angesagt. Gegen diese Regel des Benedikt von Nursia zu verstoßen, gilt als rücksichtslos.
Das Gebet ist die geplante Unterbrechung, die den Tag gliedert. Buntes Glas an den Fenstern der Kapelle zeigt den Leidensweg Christi, die alten Holzbänke knarren, wenn die Schwestern zum Gebet knien. Das "Vater unser" und "Gegrüßet seiest du, Maria" hat man einst als Kind auswendig gelernt und spricht die Worte auch als Ortsfremde beinahe automatisch mit. Die Gebetsglocke ruft nach Ruhe- und Arbeitszeit wieder zur Vesper um 17 Uhr; nach dem Abendessen zu Abendgebet und Nacht-Vigil. Trotz des vielen Fremden fühlt es sich an wie immer, abends die Bettdecke zum Kinn zu ziehen. Nichts ist zu hören; nicht einmal eine quietschende Tür. Auch nach drei Tagen liegt der MP3-Spieler noch immer unberührt in der Reisetasche. Die Stille ist einfach zu schön, um sie zu unterbrechen. In diesem Leben in Zeitlupe blitzen Details auf, die im schnelllebigen Draußen verschwimmen.
Nichts ist für die Nonnen selbstverständlich; an jedem neuen Morgen danken sie für das Leben, vor jeder Mahlzeit für das Essen. "Bevor des Tages Licht vergeht, oh, Herr der Welt, hör' dies' Gebet", singen die Schwestern im Abendgebet. "Vollenden wir den Lebenslauf, nimm uns in deine Liebe auf", bitten sie - jeden Abend erneut. Darum geht es. Um die Unsterblichkeit durch Gottes Liebe, in der sie ihr Ziel sehen. Deshalb kann die Schnelllebigkeit dahinstehen. Deshalb kann die klosterälteste Schwester Mechthild an ihrem 84. Geburtstag am nächsten Morgen mit einem Lächeln auf dem vom Alter gezeichneten Gesicht sagen: "Wieder ein Jahr näher an der Auferstehung!" Der Blick schweift durchs Zimmer; die Augen bemerken den MP3-Spieler. Doch der bleibt bis zur Abreise im Rucksack. Der Weg zurück in die Stadt erscheint wie ein Film im Schnelldurchlauf. In voll aufgedrehter Lautstärke.
Auf einen Blick
Viele Klöster bieten "Kloster auf Zeit" an. Im Kloster Bethanien in Trier-Kürenz bezahlen Gäste ihren Aufenthalt mit einer unverbindlichen Spende. Nur Frauen können dort übernachten. Kontakt: Telefon (06 51) 2 31 91. kj