Ein Leben in Scherben und die Hoffnung auf Ruhe

Hannover · Nach nur drei Monaten soll heute das Urteil im Verfahren gegen Ex-Bundespräsident Christian Wulff fallen. Erwartet wird ein Freispruch. Doch es bleibt die Sorge, der Fall könnte zum Bundesgerichtshof weiter wandern.

Eigentlich müsste allein der Gedanke an den heutigen Tag bei Christian Wulff große Freude auslösen. 741 Tage nach dem schmerzhaften Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten darf er in seinem Korruptionsprozess auf einen Freispruch hoffen. Dieser gilt mehr als wahrscheinlich. Doch Wulff wird möglicherweise auch bei einem Freispruch nicht die erhoffte Ruhe finden. Denn nach dem Plädoyer von Oberstaatsanwalt Clemens Eimterbäumer scheint es fast zwingend, dass es zu einer Revision vor dem Bundesgerichtshof kommen wird.

Ob Wulff das bereits bedacht hat, als er in seinem Schlusswort am 13. Prozesstag sagte, "ich hoffe, dass sich die Wogen glätten"? Fakt ist, die vergangenen Jahre haben ihn verändert. Und wer sich die Ereignisse anschaut, wundert sich nicht. Job weg, Karriere futsch, Frau weg - wie ein Kartenhaus fiel Wulffs bisheriges Leben in sich zusammen. In der Öffentlichkeit agiert er heute übervorsichtig und sichtlich bemüht, den letzten Rest Privatleben zu schützen. Bei jedem Satz zu seiner Person spürten die Zuhörer beim Prozess im Saal 127: Wulff ist tief in seiner Ehre verletzt.

Doch Wulff und seine Anwälte selbst haben die Messlatte für den Freispruch hoch gehängt. Bei einem Freispruch dürfe nichts hängen bleiben, sagte sein Verteidiger Michael Nagel. Nur so könnten die Folgen des "diskreditierenden Verfahrens" (Nagel) mit der "auf falschen Fakten basierenden Klage" aufgefangen werden, nur so könne er wieder zur ersehnten Ruhe für einen Neuanfang kommen (Wulff). Angesichts dieses hohen Drucks erklärt sich, warum Wulffs zweiter Anwalt Bernd Müssig in seinem Plädoyer wiederholt betonte, nach der Beweisaufnahme dränge sich der Freispruch nicht etwa aus dem Grundsatz "in dubio pro reo", also aus Mangel an Beweisen, auf. Das Verfahren hätte vielmehr nie eröffnet werden dürfen, da es an dem zur Diskussion stehenden Oktoberfestwochenende 2008 keinen Vorteil für Wulff gegeben habe. Die Einladung zur Wiesn durch den Filmproduzenten David Groenewold sei "sozialadäquat" gewesen, also für den damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten angemessen. Von der Übernahme der Kosten für Hotel und Babysitter habe er zunächst nichts gewusst. Längst habe er das Geld zudem zurückgezahlt.

Dies sieht Eimterbäumer völlig anders. Erdrückende Beweise, belastende Zeugenaussagen, eine wegen Lücken und unauffindbaren Daten auf Verschleierung hinweisende Aktenführung wögen nach wie vor schwer, sagte der Oberstaatsanwalt. Jedoch habe das von Richter Frank Rosenow dem Prozess aufgezwungene Tempo eine "Entscheidungsreife" verhindert. "Das Gericht hat die vorliegenden Erkenntnisquellen nicht ausgeschöpft", betonte er und meinte damit Fehler im Verfahrensablauf. Für ihn steht fest: Weitere Zeugen müssen gehört sowie Aktenvermerke und Beweise wie Fotos und Mails im Prozess gewürdigt werden.

Mit seiner überraschenden Forderung an die Strafkammer, jetzt noch kein Urteil zu fällen, sondern weiter zu verhandeln, drohte Eimterbäumer also nicht nur Wulff, sondern auch Rosenow. Denn der weißhaarige Richter will nach eigener Aussage ein Urteil "mit Bestand" fällen, welches am besten gar keinen Grund für einen Revisionsantrag bietet. Sollte dies heute aber wie erwartet Freispruch lauten, dürfte er sein Ziel ebenso verfehlen wie Wulff.

Zum Thema:

RückschauDie Affäre Wulff:25. Oktober 2008: Christian Wulff, damals niedersächsischer Ministerpräsident, erhält von einer Unternehmergattin einen Privatkredit über 500 000 Euro zum Kauf eines Hauses.18. Februar 2010: Wulff antwortet auf eine Anfrage im niedersächsischen Landtag, er pflege keine geschäftlichen Beziehungen zu dem Unternehmer. Den Kredit verschweigt er.13. Dezember 2011: Die "Bild" berichtet über Wulffs Hauskauf-Finanzierung. Zuvor hatte Wulff, inzwischen Bundespräsident, auf der Mailbox von "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann mit Konsequenzen gedroht, falls die Geschichte erscheint.22. Dezember 2011: Wulff entschuldigt sich öffentlich für die Irritationen und entlässt seinen Sprecher Olaf Glaeseker.16. Februar 2012: Die Staatsanwaltschaft Hannover beantragt die Aufhebung der Immunität Wulffs, um Ermittlungen führen zu können.17. Februar: Wulff tritt zurück. Die Staatsanwaltschaft beginnt, wegen möglicher Vorteilsannahme zu ermitteln. Es geht um zwei Urlaube auf Sylt und einen Oktoberfest-Besuch mit Hotelübernachtung 2008, die der Filmproduzent David Groenewold zunächst für Wulff bezahlt haben soll.7. Januar 2013: Die Wulffs haben sich getrennt, bestätigt ihr Anwalt.13. März: Die Staatsanwaltschaft bietet Wulff an, das Verfahren gegen 20 000 Euro Geldauflage einzustellen. Er lehnt ab.12. April: Die Staatsanwaltschaft klagt Wulff wegen Bestechlichkeit und Groenewold wegen Bestechung an. Zugleich wird das Verfahren wegen der Sylt-Urlaube mangels Tatverdachts eingestellt.14. November: Der Prozess gegen Wulff beginnt.19. Dezember: Der Vorsitzende Richter schlägt die Einstellung des Prozesses gegen Wulff vor, weil es aus seiner Sicht keine Beweise für eine Vorteilsannahme Wulffs gibt. Staatsanwaltschaft und Verteidigung lehnen ab.20. Februar 2014: Plädoyers. Staatsanwalt fordert Fortsetzung der Beweisaufnahme, die Verteidigung Freispruch. dpa

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