Ein Land, zwei Sprachen

Saarbrücken · Französisch soll bis zum Jahr 2043 im Saarland Verkehrssprache werden. Dies sieht ein Strategiepapier vor, das die Landesregierung gestern vorstellte. Dazu soll der Spracherwerb massiv ausgebaut werden.

 Französisch soll in Zukunft im Saarland so geläufig sein wie Deutsch. Grafik: SZ

Französisch soll in Zukunft im Saarland so geläufig sein wie Deutsch. Grafik: SZ

Wir schreiben das Jahr 2043. Deutsche, also Bundesdeutsche, die die Saarbrücker Bahnhofstraße entlang flanieren, hören genauso oft Französisch wie Deutsch. In den Geschäften wird auf Deutsch und Französisch bedient, Bus- und Zugschaffner sind zweisprachig und natürlich auch alle Polizeibeamten, die der Besucher nach dem Weg fragt. Das soll nach dem Willen der Landesregierung so oder so ähnlich Wirklichkeit werden. In 30 Jahren.

Bis dahin soll das Saarland "zu einem multilingualen Raum deutsch-französischer Prägung" werden. "Die ab dem Jahr 2013 geborene Generation soll alle Chancen erhalten, damit sich die französische Sprache neben der deutschen Amts- und Bildungssprache bis zum Jahr 2043, also innerhalb einer Generation, zur weiteren Verkehrssprache im Saarland entwickeln kann", heißt es in den Eckpunkten der Frankreichstrategie, die Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und ihre Stellvertreterin, Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD), gestern vorstellten. Damit solle "das Saarland als Brücke nach Deutschland und als Tor zu Frankreich unentbehrlich und unumgänglich werden".

Das Eckpunktepapier nennt dazu mehrere Ziele. Ein Schwerpunkt liegt bei Spracherwerb und Sprachkompetenz. So sollen Kinder künftig durchgängig Französisch lernen können, von der Kita über die Grundschule bis zur weiterführenden Schule. Auf mittlere Sicht sollen in der Hälfte aller Kitas französischsprachige Fachkräfte die frühkindliche Spracherziehung gewährleisten. Das ist den Angaben zufolge derzeit in 180 Kitas bereits der Fall, in wenigen Jahren sollen in 230 Kitas im Land französischsprachige Erzieherinnen wirken. Auch in den Grundschulen soll ab der 1. Klasse flächendeckend Französisch-Unterricht eingeführt werden. Es soll mehr bilinguale Züge an Grundschulen geben sowie mehr Angebote im Ganztagsschulbereich, auch an weiterführenden Schulen wie der Gemeinschaftsschule.

Damit nicht genug. Die Landesregierung will mit gutem Beispiel vorangehen und "Französisch-Kenntnisse als Einstellungskriterium voraussetzen sowie allen Beschäftigten den Anspruch auf angemessene Sprachaus- und Fortbildung geben". Ebenso könnten französische Bürger gezielt für bestimmte Bereiche der Verwaltung rekrutiert werden, heißt es weiter. Aber dies sei nicht nur ein Vorhaben der Landesregierung. Natürlich könne man niemandem zum Sprachenlernen zwingen, Kramp-Karrenbauer hofft dennoch auf eine "Mitwirkung auf breiter Ebene", die eben auch die Bereitschaft zum Erlernen der Nachbarsprache beinhalte. Kramp-Karrenbauer: "Nur wenn die Frankreichkompetenz in der Breite gestärkt und von der Bevölkerung mitgetragen wird, kann sich das Saarland tatsächlich zu dem einzigen mehrsprachigen Bundesland entwickeln."

All diese Anstrengungen könnten nicht nur inhaltlich, sondern auch örtlich gebündelt werden. Nach dem Umzug des Kultusministeriums in die Alte Post in Saarbrücken stünde das in den 50er Jahren vom französischen Architekten Georges-Henri Pingusson erdachte Gebäude leer. Nach seiner Geschichte als französische Botschaft im Saarland und langjähriger Sitz des Kultusministeriums bekäme der Bau so eine neue Funktion, die Tradition und Gegenwart verbände. Billig würde die Sanierung allerdings nicht, darüber sind sich alle Beteiligten klar. Ebenso charmant wie kostspielig könnte eine weitere Idee werden: die Wiederbelebung einer französischen Vertretung in Paris. Die hatte 1987 die damalige SPD-Landesregierung unter Oskar Lafontaine ins Leben gerufen, war dann von der Regierung Peter Müller im Jahr 2003 eingestellt worden, unter anderem, weil sie schlicht zu teuer war. Deshalb ist für Kramp-Karrenbauer klar: "Ein Pariser Büro muss sich lohnen." Vielleicht wird ja alles wahr, was man sich in der Landesregierung wünscht. Dann könnte 2043 tatsächlich ein Fremder in der Saarbrücker Bahnhofstraße stehen, nur Französisch hören und sich fragen: "Ist das noch Deutschland oder schon Frankreich?" On verra. Man wird sehen.

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HintergrundAuch auf der Facebook-Seite der Saarbrücker Zeitung wurde die Frankreich-Strategie der Landesregierung intensiv diskutiert. Bereits nach wenigen Minuten hatten über 70 Nutzer einen Kommentar im sozialen Netzwerk hinterlassen. Die Mehrzahl sieht die Pläne kritisch. So etwa Tobias Roth: "Ein frommer Wunsch. Und dabei wird es auch bleiben."Die gesamte Facebook-Diskussion steht unter: facebook.com/saarbrueckerzeitung jan

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