Ein Kuss ging um die Welt Justizministerin verspricht völlige Gleichstellung der Homo-Ehe

Hannover. Es sollte eine Feier im kleinen Kreis werden, doch ihr Kuss ging um die Welt. Als Heinz-Friedrich Harre (58) und Reinhard Lüschow (50) vor zehn Jahren aus dem Trauzimmer im Alten Rathaus von Hannover traten, standen sie im Blitzlichtgewitter. Fotografen und Kameraleute drängten sich, um die besten Bilder des ersten homosexuellen "Ehepaares" in Deutschland zu ergattern

 Die Liebe hat gehalten: Das Paar zehn Jahre, nachdem ihre Lebenspartnerschaft offiziell eingetragen wurde. Foto: dpa

Die Liebe hat gehalten: Das Paar zehn Jahre, nachdem ihre Lebenspartnerschaft offiziell eingetragen wurde. Foto: dpa

Hannover. Es sollte eine Feier im kleinen Kreis werden, doch ihr Kuss ging um die Welt. Als Heinz-Friedrich Harre (58) und Reinhard Lüschow (50) vor zehn Jahren aus dem Trauzimmer im Alten Rathaus von Hannover traten, standen sie im Blitzlichtgewitter. Fotografen und Kameraleute drängten sich, um die besten Bilder des ersten homosexuellen "Ehepaares" in Deutschland zu ergattern. "Damit hatten wir überhaupt nicht gerechnet", erinnert sich Harre. Es waren genau diese beiden Männer, die zuvor einen fast zehn Jahre dauernden Weg durch die Instanzen gegangen waren - bis das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber aufgab, die Diskriminierung Homosexueller zu beenden. So kam das schwule Paar aus Hannover zwar nicht zur eigentlich ersehnten richtigen Eheschließung, aber eben doch ins Trauzimmer des Standesamtes.Knapp zehn Jahre später sitzen die beiden Männer in ihrer damals gemeinsam gekauften Eigentumswohnung und blättern im Hochzeitsalbum. Schon seit 1988 sind sie ein Paar, jahrelang setzten sie sich für die rechtliche Gleichstellung von Schwulen und Lesben ein, bestellten bereits 1992 bei einer bundesweiten Aktion ihr Aufgebot beim Standesamt. "Weil wir so lange gekämpft hatten, war es uns wichtig, gleich am 1. August zu heiraten", berichtet Lüschow. Noch ein paar Tage vorher war unklar, ob die Hochzeit stattfinden kann, weil Sachsen und Bayern beim Bundesverfassungsgericht einen Eilantrag gegen das neue Lebenspartnerschafts-Gesetz gestellt hatten.

Lüschow rührte an jenem Tag besonders die Haltung seines Vaters. "Er hatte Schwierigkeiten damit, dass ich einen Mann heirate, und wollte nicht zum Standesamt kommen. Dann war er auf einmal doch da. Und als ich ihm angeboten habe, wegen der Presse durch den Hintereingang zu verschwinden, sagte er: 'Ich bin vorne reingegangen, da gehe ich auch vorne wieder raus'." In ihrem Hochzeitsalbum finden sich Zeitungsausschnitte aus den USA und Kanada, die dem Paar mit Glückwünschen zugeschickt wurden. Auch afrikanische Webseiten berichteten damals über "Germany's first male couple".

Eine Zeitung druckte das Foto von Lüschows und Harres Kuss gar auf einer Doppelseite unter dem Titel "Die besten Küsse der Welt" neben dem Hochzeitskuss von Mette-Marit und Prinz Haakon und einer Kuss-Szene aus dem Filmklassiker "Vom Winde verweht". Es sieht so aus, als sei die eingetragene Lebenspartnerschaft ein Meilenstein auf dem Weg zur gesellschaftlichen Anerkennung von Schwulen und Lesben. "Wir haben nur positive Reaktionen erfahren", erzählt Harre. "Arbeitskollegen, die sich vorher vielleicht gescheut hatten, mich auf meinen Mann anzusprechen, kamen und gratulierten."

Das Steuerrecht und das Recht auf eine gemeinsame Adoption sind für den Finanzbeamten und den Verwaltungsangestellten noch große Baustellen auf dem Weg zur völligen Gleichstellung. Dafür kämpfen sie weiter. Der 50-jährige Reinhard Lüschow sagt: "Wir waren rechtlos, das hat sich dann Stück für Stück geändert. Aber wir sind immer noch nicht ganz fertig." Und er ergänzt: "1979 sind wir beim Christopher Street Day noch unter Polizeischutz gelaufen, heute feiert die Polizei mit." Allerdings sei offenes schwules Leben in Deutschland in manchen Bereichen noch undenkbar. Er könne verstehen, dass sich bisher kein Profi-Fußballer als schwul geoutet habe, sagt Harre. "Solange sich aggressive Gruppen im Fan-Umfeld zusammenfinden, scheint mir das nicht möglich."

Lüschow erinnert sich auch an spöttische Kommentare wie "Sollen die Schwulen doch heiraten, sie werden sehen, was sie davon haben!" Harre und Lüschow haben ihr Glück gefunden. Das Geheimnis ihrer Beziehung? "Ehrlichkeit", sagt Harre. "Ein bisschen Liebe ist auch dabei", meint Lüschow augenzwinkernd. "Es gibt immer noch Abende, an denen wir stundenlang auf dem Balkon sitzen und quatschen." Berlin/Saarbrücken. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP, Foto: dapd) hat zehn Jahre nach der Einführung des Gesetzes zu Lebenspartnerschaften eine komplette Gleichstellung der Homo-Partnerschaft mit der Ehe heterosexueller Paare versprochen. Sie sei "zuversichtlich, dass nicht zehn Jahre verstreichen", bis die letzten Ungleichheiten beseitigt würden, erklärte die Ministerin am Wochenende. Homosexuelle Paare in eingetragene Partnerschaften sind zwar mittlerweile in vielen Punkten wie dem Erb- und Unterhaltsrecht Ehepaaren gleichgestellt, bei Einkommensteuer und Adoptionen ist dies bislang hingegen nicht der Fall. Leutheusser-Schnarrenberger warb zudem für "beharrliches Argumentieren", um mehr gesellschaftliche Liberalität zu erreichen.

Hasso Müller-Kittnau, Sprecher des Lesben- und Schwulenverbandes LSVD im Saarland, geht davon aus, dass die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Partnerschaften eine Frage der Zeit ist. "In zehn Jahren ist das auch durch", sagte Müller-Kittnau, der vor zehn Jahren seinem Partner das Ja-Wort gab. "Es gibt keine rationalen Argumente dagegen." Selbst das katholische Spanien habe diesen Schritt gemacht. afp/red

"Weil wir

so lange gekämpft hatten,

war es uns wichtig, gleich am

1. August

zu heiraten."

Reinhard Lüschow

Auf einen Blick

Am 1. August 2001 zogen die ersten schwulen und lesbischen Paare zum Standesamt. Inzwischen sind ihnen 23 000 gleichgeschlechtliche Paare gefolgt. Den ersten Schritt auf dem Weg zur gesetzlich anerkannten Partnerschaft machte 1994 Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) in ihrer ersten Amtszeit. Der Paragraf 175, im Jahr 1872 mit Inkrafttreten des Reichsgesetzstrafbuches eingeführt, wurde wieder abgeschafft. Er stellte sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe. Doch vor allem die Schwulenverbände verlangten mehr. So wurde im November 2000 im Bundestag mit den Stimmen von SPD und Grünen gegen die Stimmen von Union und FDP das Lebenspartnerschaftsgesetz beschlossen. Doch der Bundesrat mauerte. Das Gesetz musste in zwei Teile aufgeteilt werden, von denen aber nur einer in Kraft trat. Lesben und Schwulen spotteten, jetzt habe man zwar alle Pflichten wie in einer Ehe, aber nicht dieselben Rechte. Zum Jahresbeginn 2005 trat ein Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts in Kraft. Als umstrittenster Punkt dabei galt die sogenannte Stiefkindadoption. Inzwischen sind Schwule und Lesben beim Unterhaltsrecht, beim Güterrecht und beim Erbrecht mit Ehegatten gleichgestellt. dapd

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