Ein Kandidat auf Werbetour

Berlin. Der eine ging, der andere kam: Während sich der zurückgetretene Bundespräsident Horst Köhler gestern von den 120 Mitarbeitern des Präsidialamtes ohne große Erklärungen verabschiedete, begann in Berlin einer seiner möglichen Nachfolger mit der Werbung in eigener Sache

 Horst Köhler verlässt mit Frau Eva Luise das Bundespräsidialamt, nachdem er sich von den Mitarbeitern verabschiedet hat. Foto: dpa

Horst Köhler verlässt mit Frau Eva Luise das Bundespräsidialamt, nachdem er sich von den Mitarbeitern verabschiedet hat. Foto: dpa

Berlin. Der eine ging, der andere kam: Während sich der zurückgetretene Bundespräsident Horst Köhler gestern von den 120 Mitarbeitern des Präsidialamtes ohne große Erklärungen verabschiedete, begann in Berlin einer seiner möglichen Nachfolger mit der Werbung in eigener Sache. Christian Wulff, noch CDU-Ministerpräsident von Niedersachsen, stellte sich als schwarz-gelber Präsidentschaftskandidat den Bundestagfraktionen von Union und FDP vor. Und siehe da, deutlich zuversichtlicher kann Wulff nun auf den Urnengang am 30. Juni blicken.

Den Anfang machte er am Nachmittag in der FDP: "Guten Tag, meine Verehrung, leider kenne ich nicht alle mit Namen, tut mir leid", grinste er zu Beginn. Sieben Fragen wurden ihm in einer Stunde gestellt, es ging um Auslandseinsätze der Bundeswehr, Haushaltskonsolidierung oder seine Einstellung zur inneren Einheit Deutschlands. Bei den Liberalen rumorte es in den vergangenen Tagen gewaltig, ob sie Wulff geschlossen mitwählen würden. Vor allem aus den ostdeutschen Landesverbänden gab es kritische Worte, fünf Fragesteller kamen auch prompt von dort.

Locker und überzeugend

Wulff habe locker und überzeugend geantwortet, hieß es später, und auch taktisch geschickt die Leistung der Ostdeutschen in den letzten Jahren gelobt. Nachdem er mehrfach Applaus erhalten hatte, erlaubte sich der oft steif wirkende Politiker zum Schluss noch einen Scherz: "Es ist eine Frage vergessen worden - wann ich Mitglied der FDP werde", soll der Kandidat geulkt haben. Beim Verlassen der Sitzung meinte er nur: "Alles wunderbar." Aus der FDP war allerdings gestern auch zu hören, dass es fünf bis sechs potenzielle Abweichler gibt, mit denen nun Einzelgespräche geführt werden sollen.

Zugleich wurde aber betont, dass man die Kritik aus einzelnen, kleinen Landesverbänden gerade im Osten nicht überbewerten dürfe. Insgesamt kommen aus den neuen Ländern lediglich 19 Wahlmänner, 13 Abgeordnete des Bundestages, die Wulff wählen wollen, lediglich sechs entsenden die dortigen Landtage. Man werde eine klare politische Entscheidung treffen, "die lautet Christian Wulff", unterstrich Joachim Günther, Sprecher der ostdeutschen FDP-Abgeordneten. Insider machen zudem folgende Rechnung auf: Scheitert Wulff, wäre die Koalition im Bund wohl am Ende. Mehr als die Hälfte der 93 FDP-Abgeordneten müsste bei möglichen Neuwahlen um ihren Wiedereinzug in den Bundestag bangen. Allein 38 Parlamentarier sind das erste Mal im Hohen Haus. Bei einem vorzeitigen Ende hätten sie keinerlei Versorgungsansprüche. Der "Selbsterhaltungstrieb" werde die Zustimmung zu Wulff noch verstärken, verlautete gestern aus liberalen Kreisen.

In der Unionsfraktion erhielt Wulff demonstrativ lang anhaltenden Applaus und stehende Ovationen. Dem Vernehmen nach soll Kanzlerin Angela Merkel beim morgendlichen Koalitionsausschuss sicherheitshalber betont haben, dass ein mögliches Scheitern Wulffs im ersten von drei Wahlgängen nicht zu hoch gehängt werden dürfe. Insgesamt verfügt die schwarz-gelbe Koalition über 21 Stimmen Vorsprung in der Bundesversammlung. Nach rund 40 Minuten war Wulffs Auftritt in der Union schon beendet, es gab keine Fragen. Wulff will nun eine Art Wahlkampftour beginnen, zu der er sich offenbar auch gezwungen gefühlt hat durch die ungeahnt große Zustimmung für seinen rot-grünen Konkurrenten Joachim Gauck. Kommende Woche will er auf "Bundes-Tour" gehen. Dann will er landauf, landab Gespräche mit den schwarz-gelben Wahlmännern führen. Horst Köhler indes wurde am Abend mit einem großen Zapfenstreich der Bundeswehr verabschiedet. Er ist nun endgültig Geschichte.

Am Rande

In Bundesbehörden und Kasernen wird nach dem 30. Juni ein eingerahmtes Foto des neugewählten Staatsoberhauptes aufgehängt. Seit Horst Köhlers Rücktritt ist der für das Präsidenten-Porträt vorgesehene Platz in den Fluren und Amtsstuben verwaist. In den sechs saarländischen Dienststellen der Bundespolizei ist für den neuen Bundespräsidenten ebenso ein Platz an der Wand reserviert wie in den Kompanieblocks und Kommandeur-Büros der Saarlandbrigade. Die Bundespolizei im Saarland hat bereits neue Rahmen geordert. Dies habe aber nichts mit der Neuwahl zu tun, hieß es. kir Hintergrund

Zu seinem Abschied hat sich Horst Köhler den "St. Louis Blues" gewünscht. Das von William Christopher Handy komponierte Stück wurde durch zahlreiche Größen der Jazz- und Bluesmusik unsterblich. In der ersten Strophe heißt es unter anderem: "Ich hasse es, die Abendsonne untergehen zu sehen. Denn mein Schatz hat diese Stadt verlassen. (. . .) Ich packe meinen Koffer und mache mich aus dem Staub."dpa

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