Ein Ja mit vielen Bedenken

Berlin · Die SPD ist stolz auf ihr Nein zum Irak-Krieg vor elf Jahren. Dennoch ist die Parteiführung jetzt für Waffenlieferungen an die Kurden im Kampf gegen die IS-Terroristen. Die Debatte um Umfragewerte steht im Schatten dieser schweren Entscheidung.

Sigmar Gabriel muss erst einmal ins zweite Glied zurücktreten. Als der SPD-Chef am Gasometer in Berlin eintrifft, sind alle Kameras und Mikrofone auf den Außenminister und Parteifreund Frank-Walter Steinmeier gerichtet. Er ist seit Monaten im Krisenmodus, vor einer Woche erst war er im Irak. "Das ist eine kurze Frage mit einer etwas längeren Antwort", sagt Steinmeier auf die Frage, warum Deutschland Waffen an die Kurden im Nordirak liefern soll. Gabriel wartet erst, um auch was zu sagen. Dann dauern ihm die Ausführungen zu lange. Er quetscht sich hinter den Kameras her in den Tagungsraum zur SPD-Klausur.

Dort geht es am Samstag um Waffen und Wirtschaft. Um hochkomplexe Fragen zu Krieg und Frieden. In dem roten Backsteinbau steht in der Ecke eine Büste von Willy Brandt . Ja, was würde Willy wohl sagen, mögen sich die Präsidiumsmitglieder und die SPD-Minister fragen. Er war der Friedenskanzler, kämpfte um Entspannung zu Polen, Sowjetunion und der DDR. Kümmerte sich um Entwicklungsländer und Abrüstung. Gabriel steckt anno 2014 in einem Dilemma. Rüstungsexporte in Staaten außerhalb von Nato und EU will er nur noch in Ausnahmefällen genehmigen, weil diese zu Situationen wie jetzt im Irak geführt haben, wo die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) dank erbeuteter Waffen Tausende ermordet. Und jetzt sollen ausgerechnet in dieses Krisenland deutsche Waffen geliefert werden, die auch für einen Unabhängigkeitskampf der Kurden eingesetzt werden könnten?

Auf keine Entscheidung der vergangenen 15 Jahre ist die SPD so stolz wie auf das Nein zum Irak-Krieg unter Kanzler Gerhard Schröder . Die Geschichte hat der Partei scheinbar recht gegeben. Mit noch mehr Waffen den von den USA mit angerichteten Schaden beseitigen? SPD-Vize Ralf Stegner ist äußerst skeptisch. "Meine Sorge ist, dass die Folgewirkung so ist, dass wir heute Waffen liefern und morgen werden damit unschuldige Menschen erschossen." Im SPD-Präsidium ist Stegner an diesem Tag der Einzige, der Nein sagt zu Waffenlieferungen . Gabriel betont: "Das ist eine der schwierigsten Entscheidungen, die ich in meinem politischen Leben getroffen habe." Und er zieht gleich eine rote Linie: Einen Bundeswehreinsatz im Irak werde es mit der SPD nicht geben.

Steinmeier macht klar: "Wir sind hier in der schwierigen Abwägungssituation." Wolle man schauen und hinnehmen, dass sich die IS mit ihrem Terror im gesamten Mittleren Osten verbreitet? Bis Mittwoch soll die Waffenliste stehen. Zugleich betonen Steinmeier und Gabriel, Priorität habe weiterhin humanitäre Hilfe für den Irak.

Die unbequeme Wahrheit Nummer zwei spielt im Inneren. Die SPD kommt trotz aller Beschwichtigungen, man sei der Motor der großen Koalition, in Umfragen nicht vom Fleck. Das ZDF-"Politbarometer" sieht die Partei bei 25 Prozent, bei der Wahl 2013 waren es 25,7 Prozent. "Was beschlossen ist, ist noch nicht bei den Menschen angekommen", sagt Gabriel mit Blick auf das Rentenpaket und 8,50 Euro Mindestlohn. Doch was tun, wenn Kanzlerin Angela Merkel (CDU ) 2017 noch einmal antritt? Auf die Frage nach einem Rezept gegen Merkel herrscht bei führenden Genossen Ratlosigkeit. Nach einem Linksschwenk im Wahlkampf wollen sich die Sozialdemokraten nun besonders um die arbeitende Mitte kümmern. "Themenlabore" mit Vertretern der SPD-Spitze sollen nun ein stimmiges Programm erarbeiten. Schon jetzt stellt Generalsekretärin Yasmin Fahimi aber klar: "Es geht nicht darum, sich an die Wirtschaft anzubiedern oder neue Steuersenkungsmodelle zu ersinnen."Herr Stegner, fühlen Sie sich jetzt wie ein einsamer Wolf an der SPD-Spitze?

Stegner: Nein, die Sache ist auch viel komplexer. Zum einen gibt es in der Partei und auch bei mir selbst eine große Unterstützung für die herausragende Arbeit von Frank-Walter Steinmeier. Der Außenminister hat mehrfach klargestellt, dass es sich nicht um einen Tabubruch in der deutschen Außenpolitik handelt, sondern um eine Ausnahmesituation. Ganz anders klingt das in der Union. Innenminister de Maizière sagt, Waffenlieferungen ja, aber Flüchtlinge aufnehmen nein. Das ist überhaupt nicht unsere Position, bei der die humanitäre Hilfe eindeutig im Vordergrund steht.

Sie sagen, die Amerikaner sollen die Waffen liefern. Machen Sie es sich da nicht zu einfach?

Stegner: Die Amerikaner haben mit ihrem angezettelten Krieg im Irak genau die staatlichen Strukturen kaputtgemacht, mit denen die Minderheiten dort heute geschützt werden könnten. Der irakische Zentralstaat ist dazu nicht in der Lage, weil es ihn praktisch nicht mehr gibt. Dieser Vorgang zeigt auch, wohin Waffenlieferungen in ihrer bittersten Konsequenz führen können. Denn es sind einst von den USA gelieferte Waffen, mit denen die islamischen Terroristen kämpfen, und die nun wiederum mit US-Waffen bekämpft werden. Auf Waffenlieferungen liegt kein Segen. Das zeigt sich nicht nur im Irak. Zu dieser Haltung komme ich nach aller Güterabwägung.

Nach Einschätzung von SPD-Chef Gabriel trägt auch die große Mehrheit in Ihrer Partei deutsche Waffenlieferungen mit.

Stegner: Ich glaube, es ist noch zu früh, um das zu beurteilen. Wir stecken noch in der Sommerpause, und die Debatte hat doch gerade erst begonnen. Nach allem, was mir bekannt ist, gibt es auch viele in der SPD , die meine Bedenken teilen. Eine kleine Minderheit ist das jedenfalls nicht. Wichtig ist, dass wir diese Debatte respektvoll miteinander führen und dabei deutlich machen, dass wir es hier nicht mit einer gemeinsamen Haltung der Bundesregierung zu tun haben.

Wie meinen Sie das?

Stegner: Sigmar Gabriel hat sich klar für eine Exportbeschränkung von Rüstungsgütern ausgesprochen. Keine Waffen in Diktaturen und Spannungsgebiete. Dies will die Union schon aus industriepolitischen Gründen verhindern. Hier erwarte ich noch eine heftige Diskussion in der Koalition. Die SPD darf es der Verteidigungsministerin nicht einfach durchgehen lassen, wenn sie den Konflikt im Irak zum Anlass nimmt, einem generellen militärischen Tabubruch das Wort zu reden. Das nächste ist dann Entsendung deutscher Soldaten, wie es bereits in der Union gefordert wird. Davon muss sich die SPD klar und deutlich distanzieren. Lösegeld: Nach rund einem Jahr Gefangenschaft in Syrien soll ein 27-jähriger Deutscher aus der Geiselhaft der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) freigekommen sein. Der Mann aus Brandenburg sei im Juni für eine "substanzielle Gegenleistung" freigelassen worden, berichtete die "Welt am Sonntag" unter Berufung auf Sicherheitskreise. Das Bundeskriminalamt , der Krisenstab des Auswärtigen Amtes und der Bundesnachrichtendienst seien mit dem Fall betraut gewesen. Der Deutsche sei im Juni 2013 in Syrien verschleppt worden. Er habe dort humanitäre Hilfe leisten wollen. Im Frühjahr 2014 erhielt die Familie des Brandenburgers dem Bericht zufolge per E-Mail ein Video, in dem der Verschleppte zu sehen war und eine Lösegeldforderung gestellt wurde. Das Auswärtige Amt wollte den Bericht weder bestätigen noch dementieren.

Rekrutiert: Die Staatsanwaltschaft ermittelt einem Medienbericht zufolge gegen mindestens 139 Verdächtige aus Deutschland, die auf Seiten der Dschihadisten in Syrien und im Irak kämpfen sollen. Wie der "Spiegel" gestern vorab berichtete, werden sie verdächtigt, Mitglieder oder Unterstützer von Gruppierungen wie Islamischer Staat (IS) zu sein oder eine "schwere staatsgefährdende Gewalttat" zu planen. Insbesondere soziale Medien wie Twitter und Facebook spielten "eine zentrale Rolle für die Rekrutierung von neuen Kämpfern".

Identifiziert: Britische Geheimdienste haben den Mörder des US-Journalisten James Foley nach Angaben der "Sunday Times" identifiziert. Die Zeitung berief sich in ihrem Bericht auf nicht genannte hohe Regierungsquellen. Bei dem mutmaßlichen Henker soll es sich demnach um einen 23-Jährigen aus London handeln. Der britische Botschafter in den USA, Peter Westmacott, sagte gestern hingegen dem Sender CNN , der Geheimdienst stehe kurz davor, den Täter zu identifizieren.

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