Ein Herz für die Familie"Schnellschüsse helfen jetzt nicht weiter"

Berlin. Die Sprecherin des Familienministeriums gab sich forsch. "Es gibt keine Studie", versicherte Katja Angeli. Die verheerenden Befunde eines Gutachterkreises, der die deutsche Familienpolitik am Wochenende praktisch in der Luft zerrissen hatte (wir berichteten), tat die Mitarbeiterin von Familienministerin Kristina Schröder (CDU) gestern als nebensächlich ab

Es ist fast schon ein Bild mit Seltenheitswert. Denn Familie und Beruf lassen sich in Deutschland nur schwer vereinbaren. Foto: dpa

Berlin. Die Sprecherin des Familienministeriums gab sich forsch. "Es gibt keine Studie", versicherte Katja Angeli. Die verheerenden Befunde eines Gutachterkreises, der die deutsche Familienpolitik am Wochenende praktisch in der Luft zerrissen hatte (wir berichteten), tat die Mitarbeiterin von Familienministerin Kristina Schröder (CDU) gestern als nebensächlich ab. Zugleich wies sie die Behauptung des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" zurück, wonach eine "Regierungsstudie" der Familienpolitik völliges Versagen vorwirft. Es handele sich um eine Studie von Wissenschaftlern - sie als Regierungsbericht zu bezeichnen, sei unredlich.

Ungeachtet dessen kamen aus München scharfe Töne in Richtung der Berliner Ressortchefin. Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) hielt Schröder sogar vor, ihre Arbeit zu vernachlässigen. Der Schaden, der durch das Bekanntwerden der Analyse entstanden sei, sei "immens", sagte Haderthauer dem "Münchner Merkur". Schröder habe sich offensichtlich nicht um das Thema gekümmert. Die saarländische Bundestagsabgeordnete Anette Hübinger (CDU) stellte jedoch klar: "Im Zuge einer effektiven, zeitgemäßen und zielgerichteten Familienförderung hat das Familienministerium 2009 eine vierjährige Bewertung von 13 zentralen familienbezogenen Leistungen in Auftrag gegeben." Davon liege derzeit weder ein Regierungs- noch ein Zwischenbericht vor. "Erst auf Grundlage dieser Ergebnisse ist eine abschließende Beurteilung möglich." Einzelne Leistungen vorab herauszugreifen und ohne Gesamtzusammenhang bewerten zu wollen, "ist unseriös".

Wann der offizielle Bericht über den Wildwuchs bei den staatlichen Familienleistungen auf den Tisch gelegt wird, ist allerdings noch offen. Auf einen Termin vor der Bundestagswahl wollte sich die Sprecherin des Familienministeriums jedenfalls nicht festlegen. Das kritisierte die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth: "Die Kanzlerin und ihre zuständige Ministerin wollen offenbar die verheerende Bilanz ihrer Familienpolitik nicht öffentlich machen." SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat derweil angekündigt, im Falle eines Wahlsieges das gesamte System der familienpolitischen Leistungen auf den Prüfstand stellen zu wollen: "Wir brauchen eine Umstellung der Familienpolitik", sagte er "Spiegel online". In Zukunft könne es nicht darum gehen, "an einzelnen Instrumenten herumzustricken". Die SPD wolle so viel Geld wie möglich in den Ausbau der Infrastruktur stecken. Der Schwerpunkt müsse hierbei auf einer verbesserten Betreuung von Kleinkindern und Schülern liegen.

Ungeachtet der Debatte machte die CDU deutlich, dass sie auf weitere finanzielle Verbesserungen für Eltern mit Kindern setzt. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe betonte nach einer CDU-Präsidiumssitzung in Berlin, die Wirksamkeit von Leistungen sei insgesamt zu überprüfen. Kriterium für den Erfolg dürfe aber nicht allein die Geburtenrate sein, sondern etwa auch die Gerechtigkeit zwischen den verschiedenen Familien-Modellen.

Vor zwei Wochen hatte Ministerin Schröder klar gemacht, dass die diversen Fördergelder weiter mit der großen Gießkanne verteilt werden sollen. Bei der Vorstellung des Familienberichts signalisierte die Ministerin, dass sie an einer stärkeren Bündelung von staatlichen Leistungen überhaupt nicht interessiert sei. Das bestehende System der Familienförderung sei das Ergebnis vieler gesellschaftlicher Kompromisse, lautete eine Begründung. Und nach allen Erfahrungen führe eine Zusammenführung auch nicht zu mehr Effizienz oder Einsparungen, lautete die andere Erkenntnis der Ministerin. Von einer umfassenden Evaluierung war in ihrem Bericht nicht mehr die Rede. Spätestens da konnten sich die Wissenschaftler, die an dem 30 Millionen Euro teuren Projekt beteiligt waren, ausrechnen, dass ihre Empfehlungen höchstens für die Schublade bestimmt sind.Foto: bub

"Der Schaden ist immens."

Christine Haderthauer (CSU, Sozialministerin)

Auf einen Blick

Der Staat wendete 2010 mehr als 200 Milliarden Euro für "ehe- und familienbezogene Leistungen" auf. Die ehebezogenen Leistungen betrugen 74,5 Milliarden Euro. 53 der restlichen 125,5 Milliarden wurden als "verfassungsrechtlich gebotener Familienlastenausgleich" gewertet. 16,1 Milliarden Euro gingen an Sozialversicherungen. Für "Familienförderung im engeren Sinn" wendete das Familienministerium nur 55,4 Milliarden Euro aus. kna