"Ein großer Tag für Amerika"

Es ist eine pompöse Kulisse. Die in der Wintersonne glänzende kolossale Fassade und Kuppel des Kapitols, einst wie auch das Weiße Haus von Sklaven erbaut. Das überdimensionale Sternenbanner als Bühnen-Hintergrund. Und dann die Menschen. Menschen, soweit das Auge reicht. Millionen drängen sich drei Kilometer weit, schwenken Fähnchen - und jubeln als Zeitzeugen eines historischen Augenblicks. Um 11

 Barack Obama schwört seinen Amtseid auf die Bibel. Foto: dpa

Barack Obama schwört seinen Amtseid auf die Bibel. Foto: dpa

Es ist eine pompöse Kulisse. Die in der Wintersonne glänzende kolossale Fassade und Kuppel des Kapitols, einst wie auch das Weiße Haus von Sklaven erbaut. Das überdimensionale Sternenbanner als Bühnen-Hintergrund. Und dann die Menschen. Menschen, soweit das Auge reicht. Millionen drängen sich drei Kilometer weit, schwenken Fähnchen - und jubeln als Zeitzeugen eines historischen Augenblicks. Um 11.43 Uhr Ortszeit betritt Barack Obama, der erste schwarze Präsident der USA, das Podium. Er wirkt entspannt, als er seinen Platz in der ersten Reihe auf der Tribüne einnimmt. Michelle, im Etuikleid mit passendem Mantel aus Goldbrokat, und die beiden Töchter sitzen hinter ihm.

Und er bleibt auch kühl bei einer Herausforderung ganz besonderer Art. John Robert, der von George W. Bush berufene oberste "Supreme Court"-Richter, bringt gleich zweimal die Reihenfolge der 35 Worte des Amtseides durcheinander, als er diesen vorliest. Obama, der mit der Hand auf der Bibel Abraham Lincolns nachsprechen muss, lächelt kurz - und legt den Eid souverän in der korrekten Fassung ab. Dann ist es geschafft, und die Menge explodiert in einem Jubelsturm. Viele greifen zu Taschentüchern. "Größe wird nicht gegeben. Größe muss verdient werden," sagt Barack Obama Minuten später - es ist einer der Kernsätze seiner Rede, die der Vereidigung folgt und in der er Aufbruchstimmung zu verbreiten sucht: Die Herausforderungen seien zahlreich und ernst zu nehmen, und sie seien nicht in kurzer Zeit zu lösen. Aber, so stellt es Obama hinter fünf Zentimeter dickem Panzerglas fest: "Sei dir bewusst, Amerika - wir werden sie meistern." Das Land müsse, so fordert er, "Hoffnung über Furcht" wählen.

Reglos verfolgen Bush und sein Vize Dick Cheney diese Worte, die natürlich auch ein Abgesang auf ihre Ära sind. Cheney, ein unerschütterlicher Verteidiger von Guantanamo und umstrittener Verhörmethoden, hat sich beim Heben von Umzugskartons den Rücken verletzt und wurde im Rollstuhl auf die Tribüne geschoben. Ein Bild mit passender Symbolkraft für den Abschied von einer Regierung, deren Ansehen national und weltweit auf dem Tiefpunkt dümpelt. Doch dies ist der Tag Barack Obamas, und der Blick richtet sich nach vorn. Auch in Richtung jener, die Amerika bisher mit Skepsis, Kritik oder Zorn gesehen haben. "Wir werden mit alten Freunden und früheren Feinden zusammenarbeiten", verspricht Obama.

Immer wieder jubeln die Massen - eine Welle der Begeisterung, die nicht abklingen will. Hunderttausende hatten sich bereits in der eisigen Nacht in Richtung Kapitol bewegt. Auch wer keine der 250 000 Eintrittskarten für die Vereidigung ergattert hatte, ist mit Skimützen, Anoraks und Schals dick vermummt - und guten Mutes: "Auch wenn wir Barack Obama nicht aus der Nähe sehen, diesen historischen Augenblick werden meine Schüler niemals vergessen," sagt Emily Rice, Lehrerin einer Mittelschul-Klasse aus dem Bundesstaat North Carolina, die angesichts ausgebuchter Hotels die Nacht auf Luftmatrazen in einer Kirche verbracht hatte. "Sie alle sollen sagen können: Ich war dabei." In den Waggons der Metro kämpfen unterdessen Zehntausende mit Ellenbogen um Stehplätze. Niemand will das epochale Ereignis verpassen. "Yes we can" schallt es unaufhörlich auf der "Mall", dieser gigantischen Fanmeile, es wird geschunkelt, bis die Sonne aufgeht. Sarah Roberts, Kindergärtnerin aus Toledo (Ohio), trägt mehrere Obama-Anstecknadeln: "Unsere Großeltern haben von diesem Augenblick geträumt", sagt die Afro-Amerikanerin, "und ich werde irgendwann meinen Enkeln davon erzählen."

Zwei Stunden vor der Vereidigung tranken die Bushs und Obamas noch 45 Minuten lang gemeinsam Kaffee im "Blauen Zimmer" des Weißen Hauses. Dann fahren sie gemeinsam zum Kapitol. Es ist das Ende einer Ära.

Ein Wermutstropfen bei den Feiern: Bei einem Mittagessen zu Ehren von Obama im Washingtoner Kongressgebäude bricht der langjährige Senator Edward Kennedy, der an einem Gehirntumor leidet, zusammen und muss in ein Krankenhaus gebracht werden. Obama schließt ihn in seine Rede ein: "Dies ist eine freudvolle Zeit, aber auch eine ernüchternde Zeit. Meine Gebete gelten ihm und seiner Familie."

 US-Präsident Barack Obama und die neue First-Lady Michelle Obama (rechts) verabschieden George W. Bush und dessen Frau Laura Bush in den Ruhestand. Foto: dpa

US-Präsident Barack Obama und die neue First-Lady Michelle Obama (rechts) verabschieden George W. Bush und dessen Frau Laura Bush in den Ruhestand. Foto: dpa

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